RAND
19. Juni 2009 | Von admin | Kategorie: FotografieFoto©Philipp Jadke
Galt die Fotografie einst als Agentin der Wirklichkeit, kollaboriert sie zunehmend und hemmungsloser mit Simulationstechniken. Die früheren Manipulationen an fotografischen Erzeugnissen wurden von bildnerischen Dogmen im Zaum gehalten. Cartier-Bresson an vorderster Stelle, versah seine Fotos mit einem schwarzen Rand, in dem er einen Teil der Filmperforation beim Vergrößern mitkopierte. Damit wollte Cartier-Bresson bedeuten: Ein Negativ ist von ihm genauso belichtet worden, wie es hinterher auf dem Positiv zu sehen ist. Labortricks unter Verwendung von Ausschnitten, das absichtliche Bereinigungen von Inhalten; wer solche Fälschungen und Verfälschungen von Bildinhalten in den Verwertungsprozess gab und damit aufflog, konnte als Bildjournalist oder Dokumentarist einpacken. Solch ein Experte hatte seine Glaubwürdigkeit verspielt.
Inzwischen hat sich die Erde ein paar Mal gedreht. Und wer sich als Fotograf noch auf die Arbeitsweise von Cartier-Bresson bezieht, erntet bei seinem Gegenüber allenfalls ein zynisches Lächeln. Denn was gestern als quasi gottgegebenes Gebot von »Fotografie-Moses« Cartier–Bresson an die Fotografen-Welt weitergegeben wurde, ist längst bis zur Kenntlichkeit entstellt worden. Ein schwarzer Rand um inhaltlich veränderte Fotos kriegt man mit ein paar Tastenbefehlen in der digitalen Dunkelkammer Photoshop hin. Wem es gefällt - kein Problem. Denn das »Wesen« der Fotografie, falls es das überhaupt jemals gegeben hat, ist durchsichtiger als die Altvorderen glauben machen wollten.
Die nüchterne Nachricht: Fotografen, Bildjournalisten, Dokumentaristen haben sich ihre Erzeugnisse von je her wahrgelogen und sich nach außen hin den Anschein gegeben, sie seien bei ihrer Arbeit allein einem höheren Auftrag verpflichtet. Da konnte Robert Capa, der Mitstreiter von Cartier-Bresson für das Wahre, Echte, Authentische, Gute und Schöne im fotografischen Bild champagnerselig die Glaskugel beschwören und die magische Formel murmeln: »Die Wahrheit ist das beste Bild«; Zweifel an solchen Attitüden sind angebracht. Lässt man die Großvokabel »Wahrheit« einmal ganz aus dem Spiel und ersetzt sie durch das Wort »Lüge«, kommt man der Sache schon deutlich näher.
Im Alltag ist man auf Lügen geeicht. Im Umgang mit anderen ist die Lüge eine hochentwickelte Kulturtechnik, auf die man von kleinauf trainiert wird. Als besonders clever gilt, wer einen anderen zur eigenen Vorteilsnahme über den Tisch zieht und dabei sein freundliches Gesicht bewahrt. Die Lüge ist dann glaubhaft, wenn sie sich geschickt als »Wahrheit« tarnt.
Um die Sache abzukürzen: Wer belogen werde möchte - bitte schön. Auf dem Basar des bildverwertenden Marktes ist die Lüge Programm. Vieles ist machbar, sofern der Preis stimmt. Soll die Lüge politischen Inhalts sein? Soll sie auf Hochglanz poliert veredelt werden? Assoziativer, symbolhafter, zeitgenössischer, dekorativer, kundenfreundlicher, expressionistischer, technisch exakt, von Inhalten entsättigt?
Fotografen simulieren die Kammerdiener-Pose, indem sie dem Bedienten ins Essen spucken und es als hohe Kochkunst auf einem silbernen Tablett servieren. Das Überraschende: Der Bediente weiß, dass der Bedienende ihn manipuliert. Trotzdem schluckt er den ästhetisch aufbereiteten Stoff, weil es ein Spiel auf Gegenseitigkeit ist. Wem der Bediente selbst ins Essen spuckt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Die Fotos sind von Philipp Jadke mit einer Streichholzschachtel (camera obscura) fotografiert worden.
Fotos © 2009 Philipp Jadke