KRISENGIPFEL
5. Juni 2009 | Von admin | Kategorie: FotografieIst das Zeit-Magazin die Krone der Magazin-Schöpfung? Im Darwin-Jahr darf die Frage peinlich berührt gestellt werden, was sich die Evolution dabei gedacht hat, voller Ergriffenheit ein Zeit-Magazin-Doppelinterview mit William Eggleston (69) und Nan Goldin (55) plus dazugehöriger Fotostrecken als nächste Evolutionsstufe zu verkaufen, weil »die zwei einflussreichsten Fotografen Amerikas uns ihr Paris zeigen«.
»Die zwei einflussreichsten Fotografen Amerikas« sollen Eggleston und Goldin laut Magazin-Intro sein. Gemeint sind wohl eher die USA denn der Kontinent »Amerika«. Und selbst wenn man großzügig über Larry Clark, Irving Penn, Robert Frank, Lee Friedlander, Larry Fink und ein paar anderen aus der gemendelten Vorturnerriege der »einflussreichsten Fotografen Amerikas« hinwegsieht, ist der koloniale Unterton in diesem Superlativ unüberhörbar.
Warum wird zum tausendundzweiten Mal die rührselige Geschichte von Goldins Dreigroschen-Oper-Zitat »Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit« erzählt, die ihren Erfolg Anfang der Achtziger begründete und von einem Glücktreffer erzählt, im »Gottesstaat« USA zur richtigen Zeit ein moralisch getränktes Anti-AIDS-Buch zu veröffentlichen? Dass sie viel Scheiße erlebt hat und prügelnde Männer hasst, - wer tut das nicht?
Das Foto, das Nan Goldin und William Eggleston flüsternd im Gespräch vertieft auf einem Hotelzimmerbett in Paris zeigt, erinnert verblüffend an Jürgen Tellers Foto für eine Marc-Jacobs-Kampagne, auf dem William Eggleston und Cindy Sherman abgelichtet sind. Man kann jetzt sagen: Okay, Eggleston liebt es, im Bett liegend einem Interviewer nichts zu sagen, zu paffen, Whisky in sich hineinzukippen, um für die Nachwelt interessant zu wirken. Vielleicht hat der Herr Baumwollplantagenbesitzer aus Memphis/Tennessee ja auch gar nichts zu sagen, was seine Fotografie erhellen könnte. Für Nan Goldin ist es jedenfalls ein gute Gelegenheit, neben Eggleston für das Zeit-Magazin zu posen, weil ihr Stern im Sinkflug begriffen ist und sich einmal mehr zeigt, wie sie über Jahre hinweg komplett überschätzt worden ist.
In der Bildunterschrift zum Eggleston-Aufmacherfoto ist zu lesen: »In Paris arbeitete Eggleston wie ein Kriegsfotograf. Er sieht ein Motiv, steigt aus dem Auto, schießt und befördert eine unbekannte Passantin in die Ewigkeit – der Kunstgeschichte.« Das steht da wirklich. Kriegsfotograf Eggleston – ein sehr schöner Witz, dem leider die Pointe fehlt, denn vor der »Ewigkeit« geht es durch die Wellness-Sauna des Fegefeuers.
Einige Doppelseiten weiter wird in der Bildunterschrift an einer weiteren Eggleston-Legende gestrikt: »Für seine Bilder erfand er eine spezielle Methode des Abzugs, die sie greller erscheinen lässt.«
Egglestons Abzüge faszinieren tatsächlich wegen ihrer differenzierenden Farbbrillanz, was aber das genaue Gegenteil von »grell« darstellt. Ihm im gleichen Atemzug zu unterstellen, er habe das Dye-Transfer-Verfahren »erfunden«, passt zum Gesamterscheinungsbild dieser faustdick aufgetragenen Enthüllungsgeschichte über »die zwei einflussreichsten Fotografen Amerikas«.
»Beide Bildstrecken sind in Deutschland erstmals zu sehen.« Besser wäre es gewesen, sie uns vorzuenthalten.