PAUL GRAHAM
4. Februar 2009 | Von admin | Kategorie: FotografieFotografen, die sich dem Kunstmarkt andienen, halten sich vornehm aus den offen ausgetragenen Konflikten heraus. Diese Tätigkeitsfelder überlassen sie dem Fotografen-Mob, dessen Griff zur Kamera als unreflektierter Automatismus abgelehnt wird. Künstlerisch tätige Fotografen sehen ihre Potentiale vielmehr in der Deutungshoheit, irgendwo zwischen halbphilosophischer Reflexion, fader Gesellschaftskritik, in einer autoritärer Gleichgültigkeit gegenüber anderen Positionen, dass einem manchmal übel wird.
Worum es geht? Genau. Um die Fotografie geht es schon lange nicht mehr. Es geht um Schaufenstergestaltung, um tonnenschwere Dekoration, um edle Bildveredlung, damit das Bedeutete auf einer Fotografie auch tatsächlich bedeutend aussieht. Im Grunde ein alter Trick, den Heizdeckenverkäufer auf virtuose Weise anwenden, aber im konservativen Kunstbetrieb?
Das Museum Folkwang ist für Überraschungen gut. Seit 30 Jahren wacht dort Ute Eskildsen über die Fotografische Sammlung. In diesen Dezennien hat vieles Neue an den Museumswänden gehangen, Provokantes, Langweiliges, Erfrischendes, Erhellendes, historisch Angehangenes. Doch bei allem Respekt vor ihrer Arbeit sehne ich den Tag herbei, an dem Frau Professorin in den Ruhestand gehen. Das sind noch knapp über drei Jahre und dann weht hoffentlich ein frischer Wind durch den Museumsneubau.
Im Hindergrund höre ich schon die Empörung, wie ich mir anmaßen könne, so über das fotopolitische Tun von Ute Eskildsen zu sprechen? Ich tue es, weil etliche wie ich denken, aber aus Kalkül mit ihrer Kritik hinterm Berg halten. Schließlich kann Ute Eskildsen mit ihrem Einfluss Karrieren befördern und genauso gut beenden. Und da möchte man nicht zu Letzteren gehören.
Bestärkt werde ich meiner Haltung nach dem Rummel um das leckere Abendbrot und die kostenlose Getränkezuführung aus Anlass der Ausstellungseröffnung der Paul-Graham-Retrospektive (Sponsor: RWE). Kann sein, dass mir bei der Einschätzung der britischen Sozialdokumentation einiges abhanden gekommen ist. Ihn zu einem der bedeutendsten Figuren dieses Genres zu stilisieren, halte ich für eine verwegene These. Da fallen mir andere Namen ein, die an diesem Markenzeichen, wenn man es denn jemanden unbedingt ankleben muss, Anspruch erheben können.
Zufällig habe ich Paul Graham Mitte der Achtziger in Essen als Yuppie erlebt. Er hatte dort eine Ausstellung in der Volkshochschule. Dennoch muss ich sagen, dass mich seine Fotografien über britische Arbeitslose aus der Politära von Maggie Thatcher schwer beeindruckt haben. Das war es dann aber auch. Fast.
In der jetzigen mit Bedeutung aufgeladenen Essener Ausstellung sind auch einige Landschaftsbilder aus Nordirland zu sehen, die mich von der Machart an Joachim Brohm erinnern, von dessen kompositorischer Strenge jedoch weit entfernt sind. Und genau genommen, wer braucht diese mal eben im Vorbeifahren aufgenommenen Graham-Bilder? Es ist eine Sowohl-als-auch-zwar-aber-Position zum Religionskrieg in Nordirland, bei dem trotz scheinbar politischer Zurückhaltung der Engländer Graham hindurchschimmert.
Lohnt es, über weitere Graham-Fotos zu sprechen? Die »Television Portraits«, einige Porträts aus der Reihe »End Of An Age« - man könnte, wenn da nicht diese urkomischen, weil in seltsamer Verfassung verfassten Erklärungen im Begleitheft zur Ausstellung wären.
Am besten ist eine darin zitierte Aussage von Paul Graham: »Wenn man zum Kern der Dinge vorstoßen will, sollte man sich auf die Verpackung konzentrieren, auf die Methode des Verbergens; darin sehe ich die Hauptaufgabe meiner Aufgabe.«
Sehr interessant. Das klingt in meinen Ohren nach dem Popheiligen Andy und nach einem unfreiwilligen Kommentar zu der aufgepumpten Inhaltsleere an den Essener Museumswänden. Erstens hat Andy seinen Job geschmeidiger gemacht als Graham und zweitens mit viel mehr Selbstironie.
»I will go to the opening of anything, including, a toilet seat.«
Paul Graham
Fotografien 1981 -2006
24. Januar – 05. April 2009
Museum Folkwang