KÖNIGSWEG?
9. Dezember 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieWie sieht deutsche Hochschul-Fotografie in den Doppelnullerjahren aus? Und inwieweit nehmen das politische Klima und das permanente Schielen auf die jeweiligen Marktinteressen ihren Einfluss auf die Fotografen bei der Themenwahl? Zugegeben, das sind heikle Fragen in Zeiten der Rückbesinnung auf eine verloren gegangene Wertehaltung. Meine Thesen dazu sind deshalb alles andere als von Begeisterung geprägt. Die Fülle an Veredelungstechniken, die als Eintrittskarte ins Galeriewesen verstanden werden, und die Möglichkeit, in kleinen Druckauflagen edel zu publizieren, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass an etlichen Hochschulen die auf Hochglanz polierte Langeweile produziert wird. Man mag diese Zeitdiagnose mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, für mich jedoch liegen die Gründe auf der Hand.
Mitte der Neunziger Jahre sah ich zum ersten Mal auf meterhoher LKW-Plane eine dunkelhaarige Schönheit lustvoll an einem Langnese-Eis knabbern. Als Werbebotschaft war der unmissverständliche Halbsatz zu lesen: »Ich und mein Magnum«.
Ein paar Tage später, es können auch einige Monate gewesen sein, las ich auf einer Plakatwand die Werbung für »Benson & Hedges«: »Suchen Sie nicht nach Sinn. Suchen Sie den Genuss«. Im Fernsehen zeigten derweil die Werbeblockwarte einen Reklameeinspieler von »Visa«. Eine junge von diversen Hungerkuren gestählte Lady tauchte nach kurzer Schwimmeinlage an einer exotischen Strandbar auf, bestellte gut gelaunt einen Cocktail, lüfte die Scheckkarte unterm Badeanzug, und aus dem Off hauchte eine weibliche Stimme: »Die Freiheit nehm’ ich mir.« Das war übrigens noch vor der politisch befeuerten »Ich-AG« und nach dem fundamentalistischen »Geiz ist geil«-Terror.
Die Chupze dieser Aussagen, mit der die Konsumreflexe der Öffentlichkeit penetriert werden, kann man aus Werbersicht als genial ansehen. Denn diese Werbesprüche geben mehr Auskunft über einen gesellschaftlichen Geisteszustand, als die Politik glauben machen möchte. Jetzt, nachdem die Genießer nach dem Willen der Gesundheitswächter politisch korrekt zu Ende genossen haben, suchen sie wieder nach Sinn; denn nun heißt es »Geist ist geil«. Und wohin die Freiheit geführt hat, sich mit der »Visa-Card« die Konsumfreiheit auf Pump zu nehmen, ist jeden Tag in den Nachrichten zu besichtigen. Wäre da noch das bemitleidenswerte Ich, das zwischen dem Es und dem Über-Ich eingeklemmt ist und vermutlich keine andere Wahl hat, als aus archaischer Es-Triebanlage ins »Langnese-Eis« zu beißen.
Auf diesem gesellschaftlichen Wurzelwerk gedeiht eine Blütenpracht, deren Mentalität auch eine fotografische Monokultur hervorbracht hat, die introspektiv und narzistisch die eigene Befindlichkeit reflektiert. Diese Innenschau ist vom neoliberalen Kosten-Nutzen-Denken geprägt, von der Sprachlosigkeit einer Dozentenschaft, deren eitles Selbstmarketing und deren Sorge um die eigene Reputation die Studierenden auf die ausgetretenen Pfade der Langeweile führt. Auf dieser Grundlage hat sich das einst gesellschaftspolitisch relevante Genre Fotografie zu einer allein dem Verwertungsinteresse dienende Flachware gewandelt.
Schon jetzt bilden Hochschulen für einen längst gesättigten Markt aus. Die Situation wird sich aus bekannten Gründen weiter verschärfen, doch statt sich tatsächlich wie allenthalben behauptet ein eigenes Profil zu geben, das deutsche Hochschulfotografie bei aller Pluralität deutlich von anderer unterscheidet, protegieren die Damen und Herren Dozenten die studentische Nabelschau. Dass etliches abgekupfert, rückwärtsgewandt, ja geradezu unterirdisch langweilig ist, äußert sich in der als Opus magnum im A3-Format daherkommenden Publikation: »Gibt es die Welt auch ohne mich«, einem Surrogat der fotografischen Abschlussarbeiten an der FH Bielefeld der Jahre 2003 - 2008.
Wer solch einer Frage ohne Fragezeichen stellt, dem möchte man gerne wünschen, dass Gott einige Portionen Hirn vom Himmel regnen ließe. Denn selbstverständlich würde die Welt ohne die Bielefelder Bildproduzenten samt ihrer Lehrkörper sofort in der Tiefe des Raumes verschwinden. Dies versteht sich doch von selbst. Vielleicht wäre es sogar besser so.
Warum? Das permanente Plagiieren der becheresken Eisschrankästhetik führt langfristig zu intellektuellen Mangelerscheinungen. Zur Erinnerung: Inzwischen hat sich die Welt seit den Achtzigern, Neunzigern, als die Tiefkühlkost aus Düsseldorf en vogue war, ein paar Mal gedreht, aber die FH Bielefeld feiert weiter fröhlich »den Struffky«-Style als sei dies der Königsweg der Fotografie.
Ähnlich bescheiden sieht es im Essener Think Tank der germanischen Liebesgöttin Freya aus. Auch dort wird angeblich fotografisch Neues gedacht, was längst schon wieder dem Vergessen anheim gefallen ist. Da wird Philipp Lorca diCorcias Blitztechnik als Neuerung verkauft, wie der seinen Bruder bei dessen Blick in den Kühlschrank in ein magisches Licht taucht. Diese Endachtziger-Technik ist diCorcias Markenzeichen, aber warum muss ein Essener Absolvent der Jetztzeit so tun, als sei sie sein Ding?
Vom Licht perfekt in Szene gesetzt ist eine Sequenz aus der Modefotografie-Klasse der Bergischen Universität Wuppertal. Vermutlich für eine Diplomarbeit. Doch leider ist auch diese Technik, die Geschlechtsmerkmale eines Models wegzuretuschieren, um den Eindruck der Gesellschaftskritik am Schönheitswahn zu erwecken, ein ästhetisches Instrument der niederländischen Modefotografin Inez van Lamsweerde; es handelt sich dabei um eine Technik aus den Neunzigern.
Anderswo sieht es kaum besser aus. Von der FH Dortmund liegt mir der Katalog vor: »Hohfuhr25«, eine Arbeit über eine Kinderklinik. Weshalb dafür Papier verschwendet worden ist, weiß niemand. Einmal abgesehen von der schlichten Fotografie, zeichnet sich der Katalog durch eine sehr interessante Logoleiste aus, die Aufschluss darüber gibt, wohin der Hase läuft.
»Alete kotzt das Kind« ist ein geflügeltes Wort zum Nährwert der Baby-Nahrungsprodukte des Weltkonzerns »Nestle«, Sponsor dieses überflüssigen Katalogs. Ebenso »milupa« und »Bübchen«. In diesen Kontext stellt die FH Dortmund ihr eigenes Logo und wahrscheinlich ist sie auch noch stolz darauf, solche dicken Fische an Land gezogen zu haben. Sicher wäre es im Vorfeld für die beteiligten Studierenden aufschlussreich gewesen, wenn sie über die Praktiken der Sponsoren bei der Durchsetzung ihrer Interessen informiert worden wären, um selbst zu entscheiden, ob sie in diesem Kontext veröffentlichen wollen. Oder geht es nur darum, dass ein Dozent seine Publikationsliste erweitern kann?
Die Beispiele wären fast beliebig fortsetzbar. Dazu habe ich mich an anderer Stelle schon mehrmals geäußert. Den Hochschulen, so mein Befund, ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, der Fotografie das Leben auszutreiben. Statt das Leben in die Fotografie zurückzuholen, legen die Damen und Herren Dozenten ihren Studierenden eine Zwangsjacke an und verstecken sich hinter Persönlichkeiten, mit deren Namen diese Lehrstätten verbunden werden. Wie es aber derzeit innen aussieht, dass etwa der Fotosektor der Essener Folkwangschule in der Belanglosigkeit versunken ist und die Verantwortlichen nichts Besseres zu tun haben, als einen Mythos aus dem Keller zu holen, zeigt mir, wie sehr es in der deutschen Hochschulfotografie kriselt.
Am 30. April 2008 hieß eine als Podiumsdiskussion getarnte Veranstaltung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen: »Neue Fotografen braucht das Land«. Ich würde sagen, die Aussage geht in die falsche Richtung: »Neue Fotodozenten braucht das Land«.