THE WALL
30. November 2008 | Von admin | Kategorie: Fotografie
Im europäischen Kulturhauptstadtjahr 2010 ist die A40 als Spielstätte für die Masse vorgesehen. Nach Vorstellung von Fritz Pleitgen soll die wie es immer so schön lebensnah heißt »Verkehrshauptschlagader des Ruhrgebiets« zwischen Dortmund und Duisburg für ein Freudenfest gesperrt werden. Wo sonst die Blechlawinen rollen, werden an einem Tag im Sommer tausende von Biergartengarnituren aufgeklappt. Denn so wie wir alle »Papst« sind, so sind wir auch alle »Kulturhauptstadt«, auch wenn einem bei der Auswahl der geförderten Kulturprojekte erhebliche Zweifel beschleichen.
Hinter der geplanten Schrebergartenidylle auf der A40 widerspiegelt sich allerdings das ganze Elend zivilisatorischer Errungenschaften. Meterhohe Schallschutzwände entlang der verstopften »Verkehrshauptschlagader« vermitteln eine leise Ahnung davon, welchem tagtäglichen Psychoterror die auf Tuchfühlung mit der A40 lebenden Anwohner ausgesetzt sind. Dort zu wohnen, möchte man selbst seinen Lieblingsfeinden nicht zumuten. Meinte Heinrich Zille seinerzeit, dass man »einen Menschen mit seiner Wohnung erschlagen« könne, ist das Leben an der A40 wahrscheinlich nur unter Dauereinnahme von Antidepressiva erträglich.
Um dieses verkehrspolitische Elend zu zeigen, hat sich die Essener Fotografin Bettina Steinacker auf einen Streifzug hinter die Kulissen der A40 begeben. Das Resultat ihres Streifzugs hat sie in einem bescheiden daherkommenden Katalog im Selbstverlag veröffentlicht, der abseits der Propaganda von einer mobilen Gesellschaft mehr Zündstoff in sich birgt als vermutet.
Interessant ist wie Anwohner versuchen, mit Produkten aus der Baumarkt-Wunderwelt der heimeligen Verhübschungen, sich mit der gruselenden Zweckarchitektur zur Lärmabwehr zu versöhnen. Dass hierbei der Geschmacksverirrung Tür und Tor geöffnet wird, gehört allerdings zu einem allseits verbreiteten Ruhrgebiets-Phänomen, wo alle 500 Meter ein Baumarkt in Zweckarchitektur residiert und deren Warenwelt ja irgendwo ihren physischen Niederschlag finden muss.
Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit von Bettina Steinacker nicht einzig ein weiteres Dokument über die A40, sondern auch ein Plädoyer für ein längst überfälliges Umdenken in der Verkehrspolitik. Vergegenwärtigt man sich einmal, dass hierzulande mehr Automobile unterwegs sind als auf dem gesamten Erdteil Afrika und die Politik nichts anderes im Sinn hat als den Kauf von weiteren Autos steuerlich zu alimentieren, bekommt der Satz: »Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht« wieder Aktualität.
Die Fotografien von Bettina Steinacker gehören in die Büros von Verkehrsplanern und Politikern und das am besten in Formaten, wie man sie von Andreas Gursky kennt, damit den Verursachern klar vor Augen geführt wird, welches Elend sie letztlich gestalten. Ein weiterer Verwendungszweck dieser Fotografien wäre im Stile des französischen Fotografen JR denkbar. Dieser hat auf beiden Seiten der »Friedensmauer« am Gaza-Streifen die meterhohen Porträts von Israelis und Palästinensern gehängt; Porträts von Israelis auf der Mauerseite der Palästinenser und umgekehrt. An der A40 käme es garantiert zu ähnlichen Reaktionen wie im genannten Spannungsgebiet, würde man riesige Kopien von Bettina Steinackers Fotografien auf die Schallschutzwände an der A40 kleben, damit Autofahrer einen Eindruck davon bekommen, auf wessen Kosten ihre freie Fahrt für freie Bürger tatsächlich geht.
Hoffnung muss man sich allerdings nicht machen, dass solch ein Projekt auch tatsächlich Zuspruch erhält. Gegen die Biergartengarnituren von Fritz Pleitgen haben solche Ideen keine Chance.