MORALIST
28. August 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieSebastiao Salgado (*1944) ist alles andere als ein cooler Fotograf. Der brasilianische Glatzenträger ist sogar sehr uncool, wenn um die von Menschen gemachten Geiseln der Menschheit geht, wenn das Landvolk irgendwo auf der Welt mal wieder um des Profites eines Großkonzerns willen von ihrem Grund und Boden vertrieben wird, wenn Kinder an Polio verkrüppeln, weil Pharmakonzerne kein Interesse daran haben, die Region in X, Y oder Z mit Impfstoff zu versorgen. Wenn allerorten von Globalisierung die Rede ist, wenn 1 Quadratmeter Regenwald 3 Cent kostet und sich ein deutscher Bierbrauer wichtigtuerisch als Retter des Regenwaldes aufpumpt, weil er von jedem verkauften Kasten Bier 1 Quadratmeter Regenwald rettet; selten so gelacht. Wahrscheinlich sind Salgado deshalb die Haare ausgefallen. Der logische Zynismus, mit dem weltweit Mensch und Natur ausgebeutet und als Fortschritt verkauft werden, müsste jemanden wie Salgado in die geschlossene Psychiatrie treiben, schließlich kennt er als Doktor der Ökonomie die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser als manch einer in den Chefetagen der Global Player.
Doch weder hat Salgado über seine Elendsarbeit in über 100 Ländern der Welt einen psychischen Knacks bekommen, was verständlich wäre, noch hat er wütend seine Leica in die Ecke gefeuert. Ändert ja doch nichts. Woher der Mann die Kraft nimmt, seit zwei Jahrzehnten an Orte zu reisen, deren Bilder man schon am Fernseher nur schwer ertragen kann, ist ein Rätsel. Eine Erklärung wäre: Er ist ein tiefreligiöser Moralist, ein Kreuzritter mit der Kamera gegen das Elend, jemand, der von sich glaubt, er habe einen höheren Auftrag zu erfüllen. Die zweite Erklärung wäre: Salgado ist ein Aufklärer, aber sind Aufklärer nicht immer auch Moralisten?
Zu meiner Schande muss ich gestehen: Salgados kiloschweren Bücher ARBEITER und MIGRANTEN habe ich lange nicht mehr angesehen. Ich bin seiner Fotografie überdrüssig. Sie ist mir zu sehr mit Pathos überzogen, dessen Echtheit ich misstraue. Seine Fotos könnten auch nach der katholischen Sonntagsmesse als Heiligenbildchen an die Gläubigen verteilt werden. Ein Vorwurf, mit dem ich nicht alleine da stehe. Salgado verklärt das Elend – arm, aber glücklich, wie der Westen die Elenden gerne sieht, um das schlechte Gewissen zu beruhigen.
AUSSTELLUNG
Sebastião Salgado . In Principio
Eine fotografische Reise auf den Spuren des Kaffees
Dauer 6. September bis 5. Oktober 2008
Eröffnung 5. September 2008 . 19 Uhr
Öffnungszeiten Montag bis Sonntag . 11 bis 20 Uhr
Eintritt 7 Euro . ermäßigt 5 Euro
Veranstalter illycaffè S.p.A.
Contrasto . Amazonas Images . C/O Berlin
Ort C/O Berlin im Postfuhramt
Oranienburger Str. / Tucholskystr . 10117 Berlin