GANZ NETT
31. Juli 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieIn Paris am Centre Beaubourg steht ein Nachbau der Künstlerwerkstatt von Constantin Brancusi (1876 – 1957). „Der Heilige von Monparnasse“ wurde der schruppig geniale Bildhauer wegen seines Rauschebartes und seiner Vorliebe für bäuerlich grobe Leinenanzüge genannt. Der französische Fotograf Robert Doisneau (1912 – 1994) schildert in seinen Erinnerungen „Gestohlene Blicke“ eine kurze und von Misserfolg gekrönte Begegnung mit dem Begründer der Minimal Art, der aus den Kaparten in Rumänien als „entarteter“ Künstler nach Paris gesiedelt war. Der als Einsiedler lebende Brancusi verscheuchte Doisneau wutentbrannt aus dem Atelier, so die Quintessenz der Anekdote. Doch bevor ich auf Brancusi etwas näher eingehe, noch ein Wort zu den Erinnerungen des schlitzohrigen Bilderdiebs Doisneau, dessen bekanntestes Foto millionenfach verkitscht als Plakat und Postkarte ein sich küssendes Paar vor dem Pariser Rathaus darstellt. Ironisch gefärbt schildert Doisneau seine Streifzüge durch Paris, von seinen Treffen mit Cartier-Bresson, André Kertész, Picasso und anderen Großkünstlern seiner Zeit. Wer sich für die Hoch-Zeit des Fotojournalismus interessiert, sollte in Doisneaus Buch zumindest einmal blättern. Bei Zweitausendeins kostet es 2.95 €.
Brancusi ist einer der berühmtesten Bildhauer. Sein mit dem Gütesiegel „Weltkulturerbe“ geadeltes Jahrhundertkunstwerk ist ein Denkmal in Gedenken an die im 1. Weltkrieg gefallenen rumänischen Soldaten am Fluss Jiu in den Kaparten, ca. 300 km landeinwärts von Bukarest entfernt. Das Werk besteht aus drei Hauptelementen und erstreckt über eine Strecke von 1,7 km. Allerdings blieb es unvollendet. Zwischen zwei Parks, wo die Skulpturen stehen, sollte nach Brancusis Vorstellung eine großzügige Allee die beiden Orte miteinander verbinden. Hemmnis ist eine Kirche, die hätte abgerissen werden müssen.
Das Ensemble nannte Brancusi „Säule der Unendlichkeit“, eine fast 29 Meter hohe Stahlkonstruktion aus aufeinandergesetzten Oktaederstüpfen, den kleinen Triumphbogen nannte er „Tor des Kusses“ und einen wuchtigen Steintisch den „Tisch des Schweigens“. Dieses Jahrhundertkunstwerk steht in dem Kapartenkaff Tirgu Jiu - und rottet dort vor sich hin.
Besonders die „unendliche Säule“ war den kommunistisch-stalinistischen Machthabern ein Dorn im Auge. Bereits in den Dreißiger Jahren versuchten sie die Säule mit Hilfe eines Ochsengespanns zu kippen. Danach versuchten sie es mit Stahlseil und Traktor; seitdem ist die Säule um 5 Grad geneigt. Der Mob, der diese „entartete“ Kunst dem Erdboden gleich machen wollte, hatte übersehen, dass die Oktaederstümpfe über ein mächtiges Vierkantrohr gestülpt wurden, das wiederum von einem den Ausmaßen und dem Gewicht entsprechenden Betonfundament getragen wird. Die lange vergesse Skulptur, Wind und Wetter, Blitzeinschlägen und menschlicher Wut ausgesetzt, rostet von innen, das sich vor Jahren ein Konsortium von Museen wie dem Museum of Modern Art, dem Centre Pompidou und anderen gebildet hat, um die „unendliche Säule“ konservatorisch vor dem Zerfallsprozess zu retten.
Robert Doisneau
Gestohlene Blicke
SchirmerGraf Verlag, 2004, 234 Seiten
ISBN 3-86555-013-4