ALTER SCHWEDE
16. Juli 2008 | Von admin | Kategorie: Fotografie
Mit seinen Publikationen über das Schwergewicht Fotobuch hat der britische Oberlehrer Martin Parr der gedruckten Flachware zwischen zwei Buchdeckeln zu einer Renaissance verholfen. Am vergangenen Wochenende ist in Arles die Hauptveranstaltung des Fotofestivals zu Ende gegangen. Und auch dort, wo sonst, lagen die Fotobücher fein aufgereiht zum Kauf bereit. Für Spezialisten mit der nötigen Patte ein Eldorado, wenn Buchhändler wie Markus Schaden ihre Trickkisten mit seltenen Erstausgaben auspacken. Nicht jeder kann jedoch mal eben einige Hunderter für Bücher zahlen, um darüber seinen Jagdinstinkt zu befriedigen und seine Kennerschaft zum Ausdruck zu bringen.
Anfang der Neunziger, als der Kapitalismus in den Schwellenländern Asiens westliche Konturen annahm, begann der Run der Neureichen auf die Millionärsgesöffe aus Bordeaux. Preissteigerungen von 500 und mehr Prozent für eine bestimmte Flasche Rotwein aus dem Keller von Chateau Petrus oder der Rothschilds waren keine Seltenheit. Bei ihren Einkäufen orientierten sich die neuen Weintrinker aus Asien an der Punkteskala von Robert Parker, der Weine in Anlehnung an das US-Schulsystem mit Punkten bewertet; Maximum sind 100 Parker-Punkte (PP). Der bis dahin nach konservativen Maßstäben agierende Weinhandel witterte Morgenluft.
Einige Lagerbestände vervielfachten sich im Preis, Weinkeller von Privatleuten wurden aufgekauft; die Jagd hatte begonnen. Der Weinhandel wurde zum Börsengeschäft, nur dass es an der Börse eine Aufsichtbehörde gibt, im Weinhandel hingegen regiert der freie Markt. Herausgeholt wird das, was der Markt hergibt. Übervorteilsnahmen, auf die vor allem Etikettentrinker hereinfallen, sind Tür und Tor geöffnet.
Den Bogen vom Weinhandel zum Fotobuchhandel zu spannen ist gar nicht so abwegig wie es zunächst scheint. Denn die Rolle, die Robert Parker im Geschmacksgeschäft mit seiner Publikation „Wine Advocat“ spielt, sie fungiert als Einkaufsliste der Weinspekulanten, hat im konkreten Fall der allseits geschätzte Oberlehrer Martin Parr. Er krempelte nicht nur die Fotografen-Agentur MAGNUM von einer Freimaurerloge zu einem LIONS Club um, mit seinen Publikationen THE PHOTOBOOK – A HISTORY Volume 1/2 lieferte er in Analogie zum „Wine Advocat“ die Einkaufsliste für Spekulanten in Sachen Fotobuchkunst. Ergebnis: Die Preise schnellen in die Höhe.
Ein Beispiel aus dem Ramschpreissegment: Bei Zweitausendeins kostet Gary Winogrands Katalog „The Animals“, in 2. Auflage vom Museum of Modern Art, New York, herausgegeben: 5 €. Dass Winogrand als einer der Begründer der Street Photography in Martin Parrs Hitparade geführt wird, versteht sich von selbst. Dessen Bedeutung steht außer Frage, zumal das Ende der Straßenfotografie gerne herbeigeredet wird. Das gleiche Buch kostet in England im Photobook Store für signierte, seltene und vergriffene Fotobücher 35 britische Pfund. Also locker das Zehnfache dessen, was Zweitausendeins verlangt.
Erst gucken - und dann mal sehen.