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15. Juli 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieFalls es jemanden interessiert, die Arbus war meine Fotografie-Göttin. Meine erste Begegnung mit ihrer Arbeit hatte ich im Büro meiner Professorin, der Otto-Steinert-Nachfolgerin Angela Neuke. Dabei handelte es sich um ein Ausstellungsplakat, das einem röhrenden Hirsch gleich zur existentialistischen Raumaura von Angelas Büro passte. Zu sehen war auf dem Plakat der fotografierte Kopf eines schlafenden Babys, das auf mich im ersten Eindruck wegen der hellen, leicht überblitzten Anmutung wie eine fette, satte „Made“ in Menschengestalt wirkte. Später, nachdem ich mich in die Fotografien der Arbus vertiefte und ihre Arbeitsweise besser verstand, sah ich darin das Bild einer Leiche.
Diese Fotografie hat sich in mein Gedächtnis gebrannt, denn es gibt noch eine dritte Ebene dieses ambivalenten Babyfotos. Es entstand während eines Zeitschriftenauftrags die Vanderbilts, eine der einflussreichsten zum alten US-Geldadel zählenden Familien zu porträtieren. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der Arbus’ Eigenart, von jedem Auftrag nur ein einziges Foto zum Abdruck freizugeben. Kurz: Dieses Babyfoto war das unverschämte Porträt von Diane Arbus über die Vanderbilts. Ein Skandal in einer Reihe von Folgeskandalen.
Den größten Coup gegen die Werbeindustrie landete Diane Arbus jedoch mit einem Nacktporträt der einzigen weiblichen Darstellerin in Andy Warhols Schwulen-Western LONESOME COWBOY (1968). Als das Foto der drogenbedröhnten VIVA (*1938) in der „New York Times“ erschien, stornierten empörte Werbekunden ihre Anzeigen im Wert von einer Million Dollar.
PATRICIA BOSWORTH: Schwarz und Weiß. Das Leben der Diane Arbus.
Als Fotografin der Freaks ist Diane Arbus in die Geschichte der neuen US-Dokumentarfotografie eingegangen. Angefeindet von Susan Sontag, der brillantesten Moralistin unter den US-Literaturkritikern, verehrt von Richard Avedon, suizidierte sich die vereinsamte und oftmals missverstandene Diane Arbus am 26. Juli 1971 im Alter von 48 Jahren. Ihre Biographin Patricia Bosworth stellt die Vermutung an, die Arbus hätte als letzte Konsequenz ihrer Arbeit ihren eigenen Sterbeprozess in der Badewanne fotografiert. Angeblich sei die Kamera mit der Sterbesequenz bis zuletzt im Gewahrsam von Diane Arbus’ Fotografielehrerin Lisette Model gewesen.