Augen/Blick
30. November 2015 | Von admin | Kategorie: FotografieGrund zur Sorge haben Medienproduzenten, die angesichts des IS-Magazins “Dabiq” ins Grübeln geraten dürften, ob ihre Abbild-Strategien noch zwingend greifen. Aus welchen Kanälen fließen diese Datenströme für die westlichen Standards entsprechende Illustration des IS-Magazins, das zu den Pariser Anschlägen am 13. November 2015 titelt: „Just Terror“? Entscheidet allein die politisch korrekte Textzeile unter einem Abbild und der Veröffentlichungskontext darüber, ob sich stumme Fotografie für eine westliche Ausdeutung eignet oder, wie eine Antithese lauten könnte, für kollektiv faschistische Delirien missbraucht werden kann?
Worin gründet diese bisher unbeantwortete Anfälligkeit von Fotografien für Propagandazwecke, dass sie gleichsam als aufklärerisch demokratisch und als visuelles Zweckmittel des menschenverachtenden Sarkasmus für Irritationen sorgt? Was hat den Wackelbegriff Fotografie entleert, das kaum noch jemand versteht, was der ausgehöhlte Begriff Fotografie bedeutet, wenn Fotografie im Dienst der jeweils präferierten Ideologie die Illusionen vom richtigen oder falschen Leben speist? Wem nutzt und wem schadet das Klagen über die Verwendung von algorithmisierten Schrittfolgen der Aufnahmetechniken, die angeblich ideologiefrei die Abbild-Produktion von nahezu jedem denkbaren Abbild-Problem geradezu spielerisch ermöglicht? Im Schaukelstuhl der Dialektik können Argumentatoren sich selbst vergewissern, dass ihre gezogenen Schlüsse an den Kern des Problems greifen, ohne einen Begriff von Fotografie zu haben, der das Ding, das Subjekt, deren Prozesse des Werdens reflektiert. Dieses Unbehagen führt zu einer Entleerung des Begreifens von Fotografie, das im Urheberrecht einen Zufluchtsort sucht, den es mit Klauen und Zähnen zu verteidigen gelte.
Worauf ein Abbild-Produzent seinen Standpunkt eines Urhebers stützt, gründet auf Paradoxien. Ein Produzent von fotografischen Abbildern ist weder Urheber des abgelichteten Subjekts beziehungsweise Dinges, weder Urheber der genutzten Sehmaschine, weder Urheber der Verwertungsapparates von Abbildern, noch, häretisch gesagt, des genutzten Lichtes, noch seiner selbst. Fotografien erscheinen als maschineller Ausdruck von subjektiven Augen/Blicken, die in maschinellen Verfahrensprozessen zur Ansicht gebracht werden.
Denkökonomisch wird der „Marke“ das Wort geredet. Fotografie-Produzenten hätten ihre maschinell zum Ausdruck gebrachten Blicke urheberrechtlich zu schützen, sich zu einer „Marke“ zu entwickeln, ihrer Person ein „Image“ zu geben, was die Marketingdurchseuchung von Fotografie verdeutlicht. Wer dieses nicht täte, beginge Verrat an den marktüblichen Gepflogenheitn, verabschiede sich in die moralfreie Zone des horizontalen Gewerbes, absentiere sich damit selbst aus dem Kreis ernstzunehmender Abbild-Produzenten. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die bei Gefallen füttert, über den Kopf streichelt, pekuniären Erfolg, Ruhm, Besitz, kalte Empathie und Anerkennung verteilt, darf nicht gebissen werden.
Produzenten von fotografischen Abbildern haben die Gabe, sich heuchelnd in die Neutralität zurückzuziehen. Ihnen ginge es allein um „ihre“ Abbilder des Zusehens. Was erscheint auf einer Fotografie als das subjektiv Eigne, wenn Hersteller von digitalen Simulationsmaschinen das Zonenmesssystem programmieren ließen, so dass technisch anspruchsvolle Aufnahmen keinen Anspruch mehr an die technischen Fertigkeiten des Produzenten stellen? Was ist das subjektiv Eigne an Fotografie, wenn Informatiker eine Bandbreite an Filtersystemen für Fotografie programmieren, die der Vorstellung des Auftraggebers von einer schönen, scheinbar neutralen digitalen Realität entsprechen? Warum wird überhaupt noch fotografiert, wenn die verwendeten digitalen Werkzeuge für jede, selbst die komplizierteste Problemstellung mindestens eine digitalisierte Lösung parat hält?
Vor einer gefühlten Ewigkeit von vielleicht zehn Jahren vollzog sich der Paradigmenwechsel. Analoge Fotografie kam in den Ruch des Rückwärtsgewandten, von praktischer Handarbeit im Dunkelraum, in dem mit Chemikalien hantiert wurde; ein analog hergestellter Handabzug noch über die handwerklichen Fertigkeiten des Produzenten Auskunft gab. Nach kurzem Aufbäumen gegen die Digitaltechnik stellten Produzenten ihre analogen Kameras in die Vitrine, Labore wurden aufgelöst, womit das Handwerkszeug auf den Müll landete, worauf Fotografie einen Teil ihres Profils gründete. Das Kalkül neuzeitlicher Produzenten von Fotografie zielsetzt auf die Vulgärpragmatik des american way of life, dass in der virtuellen Realiät noch Simulationsräume mit Abbildern gefüllt werden möchten, die noch gar nicht programmiert worden sind. Gefragt sind massentaugliche Ideen ohne den Konsum störende Inhalte. Das schwer Verdauliche oder vom Ranz des Gestrigen Befallene erhält das Etikett des Prähistorischen, es widerspricht dem Fortschritt, diesem Blindflug ohne konkretes Ziel. Dass aus dieser Ziellosigkeit politisch und ethisch unkorrekte Verbreiter von Schreckensszenerien ihre Vorteile ziehen, scheint nur im ersten Reflex wie ein tragischer Störfall.