Sportabzeichen
14. Oktober 2015 | Von admin | Kategorie: AllgemeinDas Alter hat seinen Status als goldene Lebensphase verloren, damit gekoppelte Begriffe wie Ruhe, Stille, Langsamkeit oder Muße, die scheinbar dem Altersprozess entsprechen, werden im Sprachgebrauch von Leistungsträgern ins Negative gedreht. Das Durchfüttern der Alten erscheint in diesem Gedankenraum auf der Minusskala als eine Art Negativzins des Generationenvertrages. Wie schön wäre die schöne neue Warenwelt, wenn es weniger Friedhofsblonde gäbe, die in Werbeblöcken die Vorzüge des körperlichen Zerfalls preisen, den Eindruck wecken, das Greise sei die Quintessenz von ewiger Jugend. Dagegen opponieren der »Deutsche Olympische Sportbund« und seine Werbepartner.
Die »BKK24« verspricht ihren Kunden eine Prämie von 80 Euro, wenn sie drei schlichte Voraussetzungen erfüllen. Gefordert wird die Mitgliedschaft in einem Sportverein, der Verzicht auf Nikotin und ein der Körpergröße angemessenes Normalgewicht, (was das auch immer sein soll). Illustriert wird diese Kampagne mit dem Abbild eines heterosexuellen Paares um die 60, das fröhlich ineinander verhakt ihre polierten Zahnimplantate zeigt. Diese zeitgenössischen Botschaften auf einem Leporello des »Deutschen Olympischen Sportbundes« sollen Anreiz sein für den Erwerb des »Deutschen Sportabzeichens«, für ein, Zitat: „Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland mit Ordenscharakter.Es wird auf den Leistungsstufen Bronze, Silber, Gold vergeben.”
Natürlich fühle ich mein Rückgrat gestärkt, dass mir die Bundesrepublik Deutschland »ein Ehrenzeichen mit Ordenscharakter« verleiht, das ich selbst bezahlen darf. Dieser Widerspruch scheint mir charakteristisch für die Neuausrichtung des Sportabzeichens, das im neuen Gewand eine Demontage des Alters fördert und die vormaligen Alterskriterien für die Sportabzeichen auf dem Altar der Leistungsgesellschaft opferte. Fortan gibt es im fortgeschrittenen Alter nicht mehr „automatisch“ das goldene Sportabzeichen. Jetzt gilt es sich bis zur Grablegung zu strecken, den Beweis zu liefern, ob man Gold, Silber oder Bronze in den Adern habe. Selbst im Alter ab 90 Jahren muss ein Leibesübender in den Kategorien Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination die festgesetzten Leistungen zeigen, inwieweit seine Lebendigkeit die Verleihung des bronzenen, silbernen oder goldenen »Ehrenzeichens mit Ordenscharakter« überhaupt noch rechtfertigt; ein Nachweis der Schwimmfertigkeit muss im Fünfjahresrhythmus gebracht werden.
Was sagt dies über das Menschenbild aus, das Sportwissenschaftler im Kopf hatten, als sie die Anforderungen für das Sportabzeichen an die Leistungsgesellschaft anpassten? Hatte Platon dafür das Drehbuch geschrieben, der die Menschen in jene unterscheidet, denen der „bildende Gott bei ihrer Geburt Gold beigemischt hat, weshalb sie denn die Köstlichsten sind, den Gehilfen aber Silber, Eisen hingegen und Erz den Ackerbauern und und übrigen Arbeitern?“