ZENSUR
29. Juli 2010 | Von admin | Kategorie: Fotografie
Eine Wanderausstellung der weltweit »besten« Pressefotos gastiert noch bis zum 2. August 2010 im Bochumer Hauptbahnhof. In einem aufgehübschten Transitort des Wartens und der Ruhelosigkeit, Treffpunkt der Aussortierten, Durchgangsstation hetzender Berufspendler, denen scheinbar der Sinn danach steht, über marmorplattierte Fußböden den Transitort so schnell wie möglich wieder zu verlassen, um draußen, wo gleich die Konsummeile beginnt, auf eine scheinbar selbstbestimmt entspanntere Schrittfrequenz umzuschalten. Relativ wenige unterbrechen ihre Zielstrebigkeit. Denn auf schicken Aluminiumstellwänden verlangen großflächig reproduzierte Fotografien nach Aufmerksamkeit, denen sich offenbar einzig die ganz hartgesottenen Ignoranten entziehen können. Keine Zeit, Bus und U-Bahn warten auf niemanden, Termine stehen an, der Einkauf muss erledigt werden - und der Erklärungen mehr. Dabei ist die Idee der Ausstellung, einen Ort ohne Schwellenangst zu bespielen, zunächst einmal vielversprechend. Der Nachteil ist: Der Marmorboden im Hauptbahnhof beschleunigt die Schrittfrequenzen und wie die Masse reagiert, wenn sie gemeinsam auf ein Ziel zusteuert, ist jedermann bekannt.
Die World-Press-Ausstellung sollte planmäßig ab dem 23. Juli 2010 in Bochum gezeigt werden. Warum sie mit vier Tagen Verspätung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, hat wahrscheinlich mit der Katastrophe in Duisburg zu tun. Denn zu frisch sind die Bilder einer Massenpanik, die 21 Menschen das Leben kostete, nach offiziellen Angaben 511 Personen körperlich verletzte, eine unbestimmte Zahl an Besuchern der Loveparade in das Trauma versetzte, nur mit einer gehörigen Portion Glück von körperlichen Schäden verschont geblieben zu sein. Zu viele Fragen nach den Ursachen stehen noch offen, nach den Verantwortlichen und Schuldigen der Massenpanik, an denen die Gerechtigkeit Rache üben kann. Die Zeit heilt Wunden, kühlt Emotionen, sie lässt aber keine Toten auferstehen.
In der Ausstellung werden prämierte Pressefotos des Elends gezeigt. Der Text auf einer Hinweistafel machte darauf aufmerksam, dass einige Fotografie die Emotionen zu sehr aufrütteln könnten, weil sie Grenzsituationen und verlorene Überlebenskämpfe darstellen. Überraschung, die tatsächlich keine ist: Einige Fotografien von Toten wurden einen Tag nach Eröffnung wieder aus der Ausstellung entfernt. Das angeknackste Image der Deutschen Bahn könnte ja weiteren Schaden nehmen. Ist das jetzt Bildzensur als Abwehrreflex eines Imageschadens, vorgeschobene Pietät gegenüber den Duisburger Toten? Klar ist: Der Betrachter wird von der Deutschen Bahn für unmündig erklärt, die gezeigten Fotografien entsprechend einzuordnen.
Die fotografischen Inhalte reflektieren weltweite Geschehnisse des vergangenen Jahres: Krieg, gewalttätige Auseinandersetzungen, Elend, Hunger, Krankheit, Katastrophen, Natur, Sport, Reportagen. Aus über 100.000 eingereichten Pressefotografien für den 2010er-Wettbewerb wurden von einer Jury die besten prämiert. Ein Teil dieser Arbeiten sind bis zum 2. August 2010 im Bochumer Hauptbahnhof ausgestellt. (Falls die Zensur nicht noch weitere verbannt.)
Eugene Richards (USA). 1. Preis für seine Reportage über schwerverwundete und verkrüppelte US-Irakkrieger.
David Cancellor (UK). 3. Preis in der Kategorie Menschen in den Schlagzeilen. Das Foto ist ein Abbild des Hungers. Aus Mangel an Eiweiß haben Bewohner des Nationalparks Gonazehou (Simbabwe) einen Elefanten verspeist.
Elisabeth Kreutz (USA). 1. Preis Sport Feature. Lance Armstrong, von seinem früheren Domestiken Floyd Landis schwer des Dopings belastet, als ästhetisierte Heldenfigur. Wäre es anders, hätte Armstrong die Fotografin wahrscheinlich nie so nahe an sich herangelassen.
Weitere Ausstellungsstationen:
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Frankfurt am Main Hbf |
06.08. – 16.08. |
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Köln Hbf |
20.08. – 30.08. |
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Stuttgart Hbf |
03.09. – 13.09. |
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Erfurt Hbf |
17.09. – 27.09. |
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Dresden-Neustadt |
01.10. – 11.10. |
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Berlin-Friedrichstraße |
15.10. – 25.10. |
