SIGNIERT
24. März 2010 | Von admin | Kategorie: Fotografie
Nach kapitalistischem »Naturgesetz« regulieren Angebot und Nachfrage den Preis. Ist der Preis zu niedrig, wird die Ware künstlich mit Bedeutung aufgeladen, scheinbar verknappt und für Käufer begehrenswert. Das Begehren des schönen Scheins treibt auf dem prosperierenden Fotobuchmarkt seltsame Blüten. Denn irgendwie müssen die Sammler von Fotobüchern ja bei der Stange gehalten, ihnen der Eindruck vermittelt werden, zur Komplettierung der schicken Sammlung gehörten von Buch X nicht nur die deutsche Ausgabe, sondern auch die französische, englische und was weiß ich noch für eine Ausgabe. Wobei sich das Bildmaterial in den Ausgaben nicht voneinander unterscheidet.
Jetzt das große aber: Natürlich ist das alles viel komplizierter als es scheint. Die Marketingexperten in den Verlagen drehen fröhlich an den Stellschrauben, Auflagen werden verknappt, Sondereditionen herausgegeben. Erste Auflage, vierter Druck: das gibt es tatsächlich. Pieter Hugos begehrtes Buch »Hyena & And Other Men« ist solch eine Verlags-Stilblüte. Das Verwirrspiel um die Auflagen führt zu solch einem esoterischen Durcheinander, dass selbst Verlagsmitarbeiter und Buchhändler nicht mehr richtig durchblicken (wollen?), welche Auflage die echte und welche Ausgabe die wahre ist.
Martin Parr signiert inflationär, selbst Bücher, die nicht von ihm sind. Oben Evelyn Kwasnys 2005 Kodak-Nachwuchs-förderbepreiste Diplomarbeit “HAUTNAH”.
Wer im Netz Fotobücher kauft, erlebt noch andere Überraschungen. Ein Beispiel: Ein US-Verkäufer stellt das Deckblatt der japanischen Erstausgabe von Rinko Kawauchis modernem Klassiker »Utatane« neben seine Offerte und liefert nach Bestellung des Buches ein Exemplar der 2. Auflage. Ist das jetzt Betrug, eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, ein Versehen, wenn im Text eindeutig die Erstausgabe angepriesen wird, sich das gelieferte Exemplar aber bei genauem Hinsehen als Nachdruck herausstellt?
Dennis Zimmermanns Yashica T5: von Signier-Automat Martin Parr “geadelt”. Hielte man Parr eine Rolle Toilettenpapier entgegen, er würde sie garantiert auch signieren.
Der von Martin Parr und Gerry Badger angefachte Rummel um das Fotobuch hat die Geier in Stellung gebracht. Wo es etwas abzugreifen gibt, sind sie zur Stelle. Ihr Betätigungsfeld ist das vom Künstler signierte Fotobuch. Auch hierzu ein Beispiel.
In Köln war der japanische Fotograf Daido Moriyama zu Besuch, dessen in Japan produzierte Bücher Höchstpreise erzielen. Für signierte Buch-Exemplare aus Moriyamas Anfängen werden im Netz zwischen 5000 - 6000 Euro und mehr verlangt. Das erinnert an den Hype in den Neunzigern, als auf dem Weinmarkt die Preise für erstklassigen Bordeaux, für erste Gewächse und so genannte Garagenweine regelrecht explodierten. Gewinnspannen von 500 und mehr Prozent für eine Flasche des Millionärgesöffs von Chateau Petrus aus einem »Jahrhundert-Jahrgang« waren normal. Aber das ist eine andere Geschichte.
Als die Fotobuch-Geier erfahren hatten, das Moriyama sich in Köln aufhielt, belagerten sie die Lobby des Hotels, in dem er abgestiegen war. Man kennt dieses Fan-Verhalten von Teenies, die verrückt nach »Tokio Hotel« sind. Die »Fans« des Tokioter Fotografen Moriyama hatten allerdings anderes im Sinn als ein Kreischkonzert anzustimmen. Sie lauerten dem Fotografen auf, um eine deutliche Wertsteigerung ihrer Moriyama-Fotobuch-Exemplare zu erzielen – und dazu brauchten sie seine originale Unterschrift.
Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es: Der genervte Moriyama wurde von seinen »Fans« genötigt, rund 200 Bücher zu signieren. Dass 200 Bücher nicht mal eben im Kulturbeutel mitgeschleppt werden können, ist klar. Für diese Menge an Büchern braucht man Rollkoffer, um im gesetzten Alter keinen Bandscheibenvorfall zu kriegen, denn das edle Altpapier wiegt genauso schwer wie der zu erwartende Gewinn.
Und die Moral von dieser kleinen Geschicht: Wenn das letzte Buch signiert, werdet ihr feststellen, dass man Bücher nicht essen kann.
Fotos © Dennis Zimmermann