SICHERUNGSVERWAHRUNG
20. Dezember 2009 | Von admin | Kategorie: AllgemeinAm 11. November 1991 veröffentlichte »Die Tageszeitung« (taz) in gekürzter Fassung meinen Bericht über die Sicherungsverwahrung (SV) in der JVA Werl. Zu dieser Zeit wurde in Werl das »letzte krimanalpolitische Mittel« gegen 46 Gefangene angewandt, denen »der Hang zum Verbrechen im inneren Wesen verwurzelt« sein soll. Dass sich die Zahl der Sicherungsverwahrten in den vergangenen Jahren deutlich erhöht hat, ist dem Vergessen und der politischen Stimmungsmache geschuldet.
Cesare Lombroso
»Die meisten Mörder haben einen eisigen Blick, ihre Nase ist groß, der Kiefer starkknochig. Oftmals haben sie einseitiges Gesichtszucken, wobei sie die großen Eckzähne zeigen, gleichsam grinsend und drohend.«
Das mittelalterliche Zitat aus »Der geborene Verbrecher«, eine Studie des italienischen Anstaltpsychiaters Cesare Lombroso (1839 – 1909) beeinflusste über Jahrzehnte die Diskussion unter Kriminologen, Psychiatern und »Degenerationsforschern« über die sozialen und »biologischen« Ursachen von Delinquenz.
Die bürgerliche Gesellschaft des 19.Jahrhunderts sah sich zunehmend von »normabweichenden« Individuen bedroht. Dazu zählten Diebe, Alkoholiker, Geisteskranke, Landstreicher, »Revolutionäre«. Das einst aufgeklärte, menschenfreundliche Interesse für die Elenden wich einem Bedrohungsgefühl durch diese Individuen. »Die bürgerliche Gesellschaft suchte nach Definitionen und klaren wissenschaftlichen Erklärungsmodellen, die Ordnung schaffen sollen und gleichzeitig Verhalten und Handeln prägen. … Neue Formen der Internierungspraxis setzen sich in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts durch, denn auf Grund der Entwicklung der Strafgesetzgebung wird gesetzwidriges Verhalten strenger reglementiert und genauer differenziert.« (Mariacarla Gadebusch Bondio)
Lombroso empfahl in seinen Schriften, die Gesellschaft vom »geborenen Verbrecher« zu befreien, den er an das Ende der Tiergattungen zuordnete. Lombroso empfahl dessen lebenslange Haft respektive ihn zu töten.
Heute glauben wenige den gefährlichen Unsinn, dass »kriminelle Energie« an zusammengewachsenen Augenbrauen erkennbar sei. Kriminelles Verhalten wird zuallererst durch miserable Lebensumstände wie Prügelerziehung, mangelnde Schulbildung, Wohnungsknappheit oder Arbeitslosigkeit provoziert. Solange es sich Gesellschaft leisten kann, dass Menschen in den ersten Lebensjahren chancenlos und unversorgt aufwachsen, riskiert sie einen hohen Anteil an sozialisationsgeschädigten Menschen, die anfällig für »abweichendes Verhalten« sind.
Franz von Liszt
1905 forderte Lombrosos Gegenspieler, der Rechtsgelehrte Franz von Liszt (1851 – 1919) die Abschaffung der Todesstrafe. Sein Kernpostulat: »Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik.« Zur Wiedereingliederung von Delinquenten verlangte von Liszt allerdings einen zielgerichteten Eingriff in die Freiheit der Straftäter: »Strafe ist Prävention durch Repression.« Sie soll »den nicht besserungsbedürftigen Verbrecher abschrecken und den nicht besserungsfähigen Verbrecher unschädlich machen« - ohne ihn zu töten.
In die heutige Terminologie übertragen bedeuten seine Grundsätze, dass Strafzwecke dazu dienen sollen, jeden Straftäter wieder zu resozialisieren, bereits straffällig gewordene Delinquenten vor weiteren kriminellen Handlungen abzuschrecken und »sozialgefährliche Straftäter« sicher zu verwahren.
Mit seinen Rechtspostulaten lieferte v. Liszt ein Fundament für das geltende dualistische Strafrecht (Strafe/Maßregeln). Demnach werden Freiheitsstrafen – einschließlich der lebenslangen Freiheitsstrafe – zum Schuldausgleich verhängt. Parallel dazu impliziert das Strafrecht einen Katalog an »Maßregeln zur Sicherung und Besserung« »zum Schutz der Allgemeinheit«.
Konkret: Dass ein Krimineller mit dem »Hang zu erheblichen Straftaten« nach verbüßter Strafhaft und negativer Sozialprognose die Sicherungsverwahrung antreten muss. Bei negativer Sozialprognose wird vom Straftäter ein »zusätzliches Opfer für die Gesellschaft« verlangt, basierend auf dem gutachterlich formulierten Verdacht, der Straftäter könnte nach Verbüßung der Freiheitsstrafe sofort wieder straffällig werden.
Diese »Vorbeugehaft« soll beim ersten Mal nicht länger als zehn Jahre dauern.
Einzig die wiederholt verhängte Sicherungsverwahrung kann ohne Zeitbegrenzung dauern, es sei denn, das Gericht befindet, dass bei dem Gemaßregelten eine »Persönlichkeitsdeformation« festgestellt wurde, die eine Unterbringung in der geschlossenen forensischen Psychiatrie erfordern.
JVA Werl
Die Justizvollzuganstalt (JVA) Werl im Landkreis Soest ist (1991) die einzige Institution in Nordrhein-Westfalen, in der männliche Sicherungsverwahrte staatlich gemaßregelt werden. Auf dem einstigen Zuchthausgelände, das vom äußeren Character an die frühere innerdeutsche Grenze erinnert, »büßen« und arbeiten 750 »stark kriminell gefährdete« Männer. 46 Gefangene »behandelt« die Justiz im Hafthaus III in der Sicherungsverwahrung.
Bis 1982 war die JVA Werl eine Einsperrfabrik mit 1250 Haftplätzen. In den Kriegsjahren bis zur Befreiung des Zuchthauses durch die Alliierten am 25. April 1945 waren dort 2000 Gefangene eingepfercht, 1000 als Sicherungsverwahrte mit dem Stempel des »gefährlichen Gewohnheitsverbrechers«.
1991 gilt die JVA Werl auf Grund eines »liberalen Konzepts« als »Reformanstalt«, was den Anhängern des reinen Sühnegedankens ein Dorn im Auge ist. Im Juli 1991 schreibt die FAZ, die »Anstalt für Schwerstverbrecher« entwickele sich zur »Drogenhochburg«. Zwei Jahre zuvor sprach die Gewerkschaft ÖTV von einer »Bordellisierung« der Anstalt, weil dort in einer Langzeitbesuchszelle verheiratete Gefangene mit ihren Frauen zwei Stunden allein sein können.
Nach der Strafvollzugsreform vom 1. Januar 1977 soll der Strafvollzug unter dem Behandlungsgedanken stehen. Zielsetzung ist es, die Gefangenen »wieder auf ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten« vorzubereiten. Doch das hehre Ziel wurde im Juli 1983 vom Bundesverfassungsgericht durch einen Verwirrung stiftenden Zusatz im Strafvollzugsgesetz eingeschränkt. Demzufolge gilt die Resozialisierung von Straftäter »nur vornehmlich«; berücksichtigt werden muss deren Schwere der Schuld.
Basierend auf diesem höchstrichterlichen Befund liegt es im Ermessen der jeweiligen Anstaltsleitung, welcher Straftheorie der Vorzug gegeben wird: Die Vergeltung von Straftaten oder die Wiedereingliederung der Gefangenen in die Allgemeinheit.
1986 begann das Staatshochbauamt Soest das Werler Gefängnis zu sanieren. Aus dem komplett renovierten Hafthaus III verschwand der Zuchthausmief. Man schuf die räumlichen Voraussetzungen für Wohngruppeneinheiten. Stahlgeländer und Auffangnetze vor den Zellen gehörten fortan der Vergangenheit an. Auf Kosten der panoptischen Überwachung wurden die Decken durchgezogen. Man installierte Aufenthaltsräume, Teeküchen mit Wasserboiler, Herd, Spüle und Speisekühlfach für jeden Gefangenen im Hafthaus III. Im neugestalteten Treppenhaus wurden schallschluckende Noppenteppichböden verlegt. Statt im kriegsgrau von 1938 leuchtet der Außenputz des Hafthauses III in »römisch-ocker«. Doch bei allen Verbesserungen ist die JVA Werl kein »Sanatorium« oder »Hotelvollzug« wie Zyniker meinen, sondern ein Gefängnis der höchsten Sicherheitsstufe.
»Der Bürger täte sich mit einem unmenschlichen Strafvollzug überhaupt keinen Gefallen«, sagt der promovierte Gefängnisdirektor Klaus Koepsel. »Wenn wir die Gefangenen wieder entlassen, dann müssen sie das Gefühl haben, dass der Staat sie nicht quälen wollte. Jeden, den wir verbittert und hasserfüllt entlassen, den entlassen wir als hohes Risiko für die Allgemeinheit. Insofern zahlt sich der liberale Strafvollzug für den Bürger aus.«
Detlef-Olaf F. aus B., 36 Jahre alt, aus dem Umfeld der Essener Rockergruppe »Hot Wheels« gehört zu den jüngsten Sicherungsverwahrten in Werl. Seine kriminelle Karriere begann in früher Jugend. Er wuchs in einer Gegend auf, in der Gewalt zur Tagesordnung gehörte. Ohne gelernten Beruf bekam er keine Arbeit. Zum Sozialamt wollte er nicht gehen, weil er es unter seiner Würde empfand, »dort zu bitten und zu betteln«. Den Faden verlor er, als harte Drogen sein Leben diktierten. Mehrfach wurde er wegen schwerer Gewalttaten wie Raubüberfälle, gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung weggeschlossen. »Das war meine Art des Terrorismus, dass ich sagte: Ich will in dieser Gesellschaft nicht leben. Ich akzeptiere sie nicht.« Er sagt: »Die einzige Straftat, die ich noch nicht begangen habe, ist Mord.«
Ein Gerichtsgutachter bescheinigte ihm »sozialen Infantilismus«. Ein späterer Gutachter diagnostizierte »eine Schizophrenie«.
Im Oktober 1983 verurteilte ihn das Essener Landgericht zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung. »Vorausgesetzt ich müsste die zehn Jahre Sicherungsverwahrung abmachen, wäre ich 42 Jahre alt und hätte dann 23 Jahre meines Lebens im Knast verbracht.«
Detlef-Olaf F.: »Ich weiß gar nicht, wofür ich 14 Jahre Knast absitzen muss. Genaugenommen bin ich kein Strafgefangener, aber auch kein freier Mensch. Was die Justiz mit mir macht ist psychische Folter. Lebenslängliche gehen nach 18 Jahren wieder raus. Wenn ich das sehe, dann sage ich mir doch: Wenn ich rauskomme, mache ich einen Raubüberfall, lasse einen liegen, dann sitze ich wegen Mordes. Dann weiß ich wenigstens, wofür ich sitze. Mit der Sicherungsverwahrung züchtet sich der Staat seine Verbrecher selbst.«
Was in 36 Jahren an persönlicher Entwicklung schief gelaufen ist, kann ein Freiheitsentzug kaum rückgängig machen. Seine Selbsteinschätzung: Als er zum ersten Mal zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde, hätte die Justiz noch erzieherisch auf ihn einwirken können. »Jetzt, wo der Zug abgefahren ist, versuchen mir Psychologen mit therapeutischen Mitteln zu kommen. Das ist doch ein Alibi. Ich werde nach zehn Jahren Sicherungsverwahrung entlassen; ganz gleich, ob ich gefährlich bin oder nicht .«
Tucholskys Kritik
Im Bewusstsein der Verwahrten ist die Sicherungsverwahrung eine Nazi-Erfindung. Auf der Grundlage des »Gewohnheitsverbrecher-Gesetzes« und als »Waffe des Staates gegen verbrecherische Volksschädlinge« wurde es 1949 in gezähmter Form ins Strafgesetzbuch (StGB) der Bundesrepublik übernommen. Tatsächlich verdeutlichte die NS-Justiz, welches politische Missbauchswerkzeug die schuldunabhängige »Schutzhaft« sein kann. Etliche tausend Sicherungsverwahrte kamen in Anstalten und Konzentrationslagern ums Leben. Genaue Opferzahlen sind unbekannt. Bekannt ist hingegen, dass Verwahrte in den Konzentrationslagern den grünen Stern mit der Aufschrift »SV« (Sicherungsverwahrte) oder »BV« (Berufsverbrecher) trugen und oftmals als »Kapos« (Kameradschaftspolizisten) für die Zwecke der SS instrumentalisiert wurden.
In den 1920er Jahren installierten fast alle europäischen Staaten die Sicherungsverwahrung in ihren Rechtsordnungen, was den Zickauer Eugeniker Boeters veranlasste, in der Weimarer Republik eine Rechtsangleichung an die europäische Norm zu fordern. Er empfahl 1924, der Staat solle Sittlichkeitsverbrecher, Epileptiker, Geisteskranke und solche Frauen, die zwei oder mehr uneheliche Kinder geboren haben, von Ärzten kastrieren lassen.
Als 1928 der parlamentarische Strafrechtsausschuss über die Annahme des Antrags der »Deutschen Volkspartei« zur Sicherungsverwahrung debattierte, warnte Kurt Tucholsky in der »Weltbühne« eindringlich vor dem Gesetz: »Die herrschende Klasse schmiedet sich eine Kette, die ein neues Patent darstellt: man kann sie beliebig verlängern, verkürzen, verstärken, - wie man sie braucht. Schlagt diese Kette in Stücke. Nieder mit der Sicherungsverwahrung.«
Tucholsky zielte mit seiner Kritik auf Richter und Gerichtsgutachter, die in willkürlichen Urteilen und Diagnosen aus einem Kleinkriminellen einen »gefährlichen Gewohnheitsverbrecher« konstruieren konnten. Wer in irgendeiner Form von der bürgerlichen Norm abwich, den degradierten Psychiater zu einen »gemeingefährlichen Psychopathen«. Richter konstruierten aus Hühner- und Eierdieben »erheblich vermindert zurechnungsfähige Gewohnheitsverbrecher«, die, falls sie »weder heilbar noch pflegebedürftig« waren, in Strafquarantäne genommen werden konnten. Das bedeutet häufig den »sozialen Tod« der Verurteilten. Es reichten Bagatelldelikte, um einen »Psychopathen« (einen an seiner kranken Seele leidenden Menschen) für Jahre verschwinden zu lassen.
Rechtsreform
1969 verabschiedete sich die Justiz von den angeblich wissenschaftlichen Etikettierungen »gefährlicher Gewohnheitsverbrecher«, »kriminelle Geisteskranke«, »arbeitsscheue Berufsverbrecher«. Sie ersetzte die braun gefärbten Begriffe durch den politisch unbelasteten Ausdruck »Hangtäter«.
1975, nach der zweiten Reform des Gesetzes gegen »freiheitsunfähige Menschen«, verschärfte die Justiz die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung erheblich. Seitdem sind keine Opferstockdiebe oder Zechpreller in der Sicherungsverwahrung inhaftiert.
Klaus Koepsel: »Der Trend in den Industrienationen geht dahin zu sagen, gefährliche Leute müssen verschwinden. Somit sehe ich für die Abschaffung der Sicherungsverwahrung keine Chance. Außer man verlängert die Haftstrafen und schafft damit das Etikett Sicherungsverwahrung endgültig ab.«
Toyota-Haus
In der JVA Werl setzt sich das Klientel der »Schutzgefangenen« zu über 50 Prozent aus therapieunwilligen und therapieresistenten Sexualstraftätern zusammen. Den größten Teil dieser Sexualstraftäter bilden die Pädosadisten. In der Knasthierarchie stehen diese Gefangenen auf der untersten Stufe der Rangordnung. Einige haben das zweite und dritte Mal Sicherungsverwahrung, ein Indiz dafür, das die Grenzen des Behandlungsvollzugs aufzeigt.
Gutachter entscheiden, welche Maßregel für einen fixierten Triebtäter angemessen wäre; Sicherungsverwahrung oder die Unterbringung in einer forensischen Klinik. »Wir hatten einen Gefangenen, der ein zweijähriges Mädchen erfolgreich genotzüchtigt hat und töten wollte«, sagt Klaus Koepsel. »Er verbüßte eine mehrjährige Gefängnisstrafe und befindet sich jetzt in einer forensischen Klinik. Wäre der Gefangene an einen anderen Gutachter geraten, hätte er vielleicht die Sicherungsverwahrung antreten müssen.«
In Deutschland ist die Freiheitsstrafe auf 15 Jahre begrenzt. Ist ein Straftäter des Mordes überführt, verhängt das Gericht lebenslang (LL). Unter Berücksichtigung der Schwere der Schuld dauert eine lebenslange Freiheitsstrafe 15 Jahre plus x Jahre. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu niedrig, sagen Vertreter der Justiz, denn in Spanien kann eine Freiheitsstrafe bis zu 30 Jahre, in Italien bis zu 70 Jahre und in England bis zum Sankt Nimmerleinstag verhängt werden; also bis zum Tod. Die Sicherungsverwahrung werde zur Beruhigung der Bevölkerung ausgesprochen.
Als Todesstrafe durch die Hintertür und verfassungswidrig bezeichnen Kritiker die Strafkombination Lebenslang (LL) mit anschließender Sicherungsverwahrung (SV). Damit die Rachegelüste der Bevölkerung befriedigt werden, bandagieren Richter besonders gefährliche Straftäter doppelt und dreifach.
Das geschieht weniger aus logischen Gründen, sondern vielmehr aus Gründen der Prävention. Denn laut § 57a StGB darf es in Deutschland keine Freiheitsstrafe »hoffnungslos« sein. Bei einer günstigen Sozialprognose könnte ein LLer theoretisch nach 15 Jahren entlassen werden. Ist die Sozialprognose negativ, bliebe der LLer weiterhin inhaftiert. Ein Urteil LL plus SV ist reine Kosmetik zur vordergründigen Beruhigung der Bevölkerung.
Klaus B. aus Monschau in der Eifel, 46 Jahre alt, ist »fast blind«. Das ist der Preis, wie er sagt, für 20 Jahre Haft, davon sechs Jahre in Sicherungsverwahrung. Klaus B. gehört zur Verwahrten-Gruppe der Vermögensstraftäter wie Bankräuber oder »pseudologische Betrüger« Seine Deliktpalette: »schwere Brandstiftung« und »besonders schwerer Diebstahl«. Zehn Jahre musste er warten bis er am 24. September 1991 seine erste Ausführung in Begleitung eines Vollzugsbeamten bekam.
Bis auf wenige Sonderrechte, die Verwahrte gegenüber Strafgefangene haben, unterscheiden sich die Vollzugarten kaum voneinander. Klaus B. darf private Kleidung tragen. Er kann mindestens zwei Stunden im Monat Besuche empfangen. In seinem Haftraum hängen vor den Fenstern Gardinen. Ihm wird gestattet, mehr Pakete als Strafgefangene anzunehmen. An arbeitsfreien Tagen kann er sich mindestens zwei Stunden auf dem Anstaltsgelände aufhalten. Diese Privilegien können jedoch von der Gefängnisleitung jederzeit wieder aufgehoben werden, wenn sie die »Sicherheit und Ordnung« der Haftanstalt gefährden. So wird aus einem Sicherungsverwahrten schnell wieder ein Strafgefangener. Die Übergänge sind fließend, denn der Alltag der Verwahrten und Strafgefangenen wird vom Strafvollzugsgesetz geregelt.
Morgens um sechs wird Klaus Bs. Zelle von einem Vollzugsbeamten aufgeschlossen. Klaus B. bekommt sein Frühstück gebracht. Gegen sieben Uhr rückt er zur Arbeit aus. Dazu ist jeder Gefangene und Verwahrte verpflichtet. Als Facharbeiter kann Klaus B. maximal 10,02 D-Mark am Tag verdienen. Abgezogen werden ihm 2,15 Prozent Arbeitslosenversicherung. Krankenversichert ist er allerdings nicht. Sollte Klaus B. krank werden, steht ihm ein Taschengeld von mindestens 30 D-Mark im Monat zu. Gegen 12 Uhr isst Klaus B. in seiner Zelle zu Mittag. Um 16 Uhr hat er Feierabend. Bis zum Einschluss um 21.30 Uhr kann er sich »frei« auf den Korridoren der Verwahrten-Wohngruppen bewegen.
Im »Toyota-Haus« (»Nichts ist unmöglich«), eine gefängnisinterne Anspielung auf die Phantasien von Sexualstraftätern, ist das atmosphärische Klima angespannt. Nach langen Gefängnisjahren sind einige »knastmüde« und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit angekommen. Der Gefängnistrott nimmt ihnen die körperliche Energie, denn der setzt auf den biologischen Zerfallsprozess. Lethargisch sitzen Sexualstraftäter von morgens bis abends in ihren Zellen, montieren Wäscheklammern, wagen sich aus der Zelle, wenn das Essen kommt; täglich 2700 Kalorien. Ab sechs Uhr morgens läuft der Fernseher.
Häufig kennt Klaus B. einzig den Vornamen der Zellennachbarn. Über begangene Straftaten bewahrt man Stillschweigen. Eine Zwangsgemeinschaft aus kontaktgestörten Einzelgängern. Deren Körper sind weitgehend fremdbestimmt. Freiräume existieren ausschließlich im Kopf. Darin möchte sich Klaus B. nicht herumwühlen lassen.
Sozialarbeiter Günter Korf ist der »Quartiermeister« der Verwahrten. Er hat seit 1987 Kontakte zu 49 Männer-Wohnheimen in Nordrhein-Westfalen aufgebaut, die bereit sind, entlassene »Hangtäter« aufzunehmen. »Es hat sich gezeigt, dass bei einer sozialen Integration der Verwahrten, sie nicht mehr so stark rückfallgefährdet sind.«
Zu Günter Korfs Aufgaben gehört es, mit den Ex-Verwahrten den Gebrauch der Freiheit zu trainieren. Das soziale Training erweist sich jedoch als schwierig. Die Klienten sind meist kontaktscheu, weil sie sich daran gewöhnt haben, fast ausschließlich mit Amtspersonen umzugehen. »Sie müssen sich erst langsam wieder an das Leben herantasten. Simple Fragen können sie aus der Bahn werfen. Wie zieht man eine Fahrkarte am Automaten? Wie kann man erfahren, wann der nächste Zug von A nach B fährt? Günter Korf: »Wenn ich die Leute ausführe, haben sie schweißnasse Hände. Sie müssen draußen so viele Eindrücke wahrnehmen, dass sie schnell überfordert sind.«
Entlässt die Justiz aus der Sicherungsverwahrung lebenstüchtige und »ungefährliche« Personen? »Sie sind dann gefährlich«, sagt Gefängnisdirektor Klaus Koepsel, »wenn wir sie lebensuntüchtig entlassen. Gefährliche Straftaten entstehen oft in sozialer Isolation. Wir züchten nicht den guten Menschen, aber der humane Strafvollzug kann exzessive Straftaten weitestgehend verhindern.«
Deprecated: preg_replace(): The /e modifier is deprecated, use preg_replace_callback instead in /www/htdocs/w00a0205/wp-includes/kses.php on line 947
Deprecated: preg_replace(): The /e modifier is deprecated, use preg_replace_callback instead in /www/htdocs/w00a0205/wp-includes/kses.php on line 948
Lieber Herr Schrage,
vielen Dank für diesen hoch informativen und gleichsam unterhaltsamen Artikel, der meiner Meinung nach in den vergangenen Jahren an Aktualität nicht verloren hat.
Als Student der Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Strafrechtspflege hätte ich mir gewünscht statt trockener Stoffvermittlung einen derart anschaulichen Artikel zur Einführung in diese Thematik lesen zu können. Umso erfreulicher, dass es mir nun ex post möglich ist.
Das Strafrecht ist so überaus interessant, weil sich der Zustand einer Gesellschaft am Umgang der Gesellschaft mit Minderheiten ablesen lässt.
Das Thema Sicherungsverwahrung eignet sich hierzu par excellence.
Es verkehrt “in dubio pro reo” in sein Gegenteil, in dem Zweifel im Rahmen der Sozialprognose stets zu Lasten des Strafgefangenen gehen. Ist ja menschlich auch nachvollziehbar - Richter und Gutachter fürchten nichts mehr als die Schlagzeile im Falle der Rückfälligkeit.
Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat gerade einen ganz interessanten Spruch zum Thema Sicherungsverwahrung ausgegeben.
Hier nachzulesen:
http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=295292&docClass=NEWS&site=jus&from=JuS.root
Da die Sicherungsverwahrung bis zum berühmten Sankt Nimmerleinstag ja nun Wirklichkeit ist, haben wir folgendes Problem: sie beschreiben in Ihrem Artikel das eine der letzten Orte der Freiheit eines Verwahrten, die gedankliche, nennen wir es mal: “die innere Freiheit” ist.
Der Verwahrte ist nun gezwungen diesen letzten Zufluchtsort aufzugeben, denn anderenfalls hat er keine Chance eine günstige Prognose zu erlangen und jemals wieder in die mehr oder minder große Freiheit eines kapitalistischen Systems entlassen zu werden.
Für mich hat das so den Beigeschmack von zwangsweisen Brechmitteleinsatz bei Drogen Mulis, den man inzwischen ja für Folter hält und der daher abgeschafft wurde (man wartet an den Flughäfen nun so lange bis die Kuriere das Zeug von selbst ausscheißen, bietet Ihnen z.B. ein Zigarettchen o.ä. an)
Die Lage ist doch einigermaßen vergleichbar oder? -
Beteiligung im Rahmen einer Therapie (was immer das auch sein mag) oder Freiheit?
Wer mitarbeitet kommt frei und wer draußen ist, will nicht selten wieder rein, weil die Gesellschaft inzwischen eine ganz andere ist, als zu Haftbeginn.
Außerdem ist der Etikettierungsprozess der Gesellschaft abgeschlossen … die Gesellschaft hält sich fern vom alten Neuling.
Meine Meinung:
Natürlich ist Strafrecht ultima ratio, eine Jahrzehnte lange Haftstrafe hat natürlich generalpräventive, “beeindruckende” Wirkung auf alle Tatgeneigten (negative Abschreckung) und positive Abschreckung auf alle die sich auf Ihrem rechtschaffenen Weg bestätigt sehen, aber was noch viel abschreckender ist:, ist eine Aufklärungsquote von nahezu 100 Prozent (wie beim Mord).
Der Mensch ist doch (ausgenommen Triebtäter etc.) homo öconomicus: Wenn der Nutzen aus einer Straftat in einem auffälligen Missverhältnis zur Möglichkeit der Aufdeckung steht, sprich wenn das Risiko den möglichen Nutzen erheblich überwiegt, dann wird aus einer Tatgeneigtheit ohne Hinzutreten besonderer Umstände in aller Regel keine Straftat und im Übrigen gilt:
die beste Kriminalpolitik ist eine den Menschen in den Mittelpunkt stellende Sozialpolitik … die nicht zur Selbstbeschäftigung der Akteure durch Schaffung bürokratischer Utopien neigt.
Da ich noch ein paar andere Artikel von Ihnen lesen möchte, soll das für’s Erste genügen.
Vielen Dank für Ihre Einladung zum Nachdenken.
Tobias Krüger