PFANDLEIHER
16. Dezember 2009 | Von admin | Kategorie: AllgemeinMorgenstund hat Gold im Mund. Vor ein paar Tagen ist mir in der Nähe des Bochumer Hauptbahnhofs der Gehwegstopper eines Billig-Pfandleihers aufgefallen. Ohne dass seine Werbung große Umwege macht, zielt dessen Botschaft an den Straßeninstinkt direkt ins Schwarze: »Wir kaufen Zahngold – auch noch mit Zähnen«.
Volltreffer. Deutlicher kann man die vermittelte Archaik kaum aussprechen. Der Sinngehalt klingt nach einer latenten Aufforderung, den Altvorderen das Gebiss aus der Nachtkonsole zu klauen. Die haben im Pflegeheim sowieso nichts mehr zu lachen, schlucken über die Schnabeltasse die gequirlten Essensreste ihrer Mitbewohner; als Beitrag zur Kostendämpfung, zur effizienteren Verwendung von Nahrungsmitteln. Wozu brauchen die Altvorderen noch ihr Goldzahngebiss?
Vornehmer ausgedrückt kann man die latente Aufforderung zum Gebissklau auch als Schenkung an einen Erbnehmer verstehen, als einen Akt der vorzeitigen Testamentsvollstreckung.
Dennoch: Der Deutsche und sein besonderes Verhältnis zum Goldzahn ist eine vernachlässigte Liasion. Schließlich ist Gold eine harte, gegen Rezessionen resistente Währung. Wer es sich in finsteren Zeiten leisten kann, lässt sich seine Backen-Beißerchen elegant verkronen. Solch eine Maßnahme verdeutlicht Stil, Sinn für Tradition, dass man zu den Besserverdienenden zählt, sich abgrenzt von den schlechterverdienenden KiK-Gebissträgern. Sind die Zähne von Karies zerfressen, zeigt der deutsche Leistungsträger auf dezente Weise, wie viel ihm seine Kauleiste wert ist.
Andererseits ist der bevorzugte Einsatz von Goldzähnen im hinteren Mundraum ein klares Misstrauensvotum gegenüber Banken. Wer garantiert, dass im Schließfach deponiertes Gold nicht doch versehentlich abhanden kommt? Wer niemand anderem außer sich selbst traut, bunkert sein Gold in den Zähnen. Dort ist das Zeug vor Mundraub sicher und eine sichere Bank für schlechtere Zeiten.
Versehentlich, dem Vergessen geschuldet oder bewusst als Angriff auf die politische Korrektheit spricht der Bochumer Billig-Pfandleiher noch ein anderes Verhältnis der Deutschen zum Zahngold an. Es verweist auf eine Verwertungspraxis im glorreichen 1000-jährigen Reich. In den Vernichtungslagern der Nazis wurde den Opfern das »Zahngold – auch noch mit Zähnen« herausgebrochen, um die Kriegskasse der »Goldfasane« aufzufüllen.
Muss man gleich alles auf die Goldwaage legen? Beim Pfandleiher schon - »auch noch mit Zähnen«.
Bis zum letzten Absatz ließ sich herzlich und ausgiebig lachen - ein echtes Goldstück.
Im Übrigen gehören jene die rechtzeitig den hinteren Mundraum als Tresorraum nutzten ja auch zu den Gewinnern der Krise - der Preis für eine Feinunze Gold hat sich seit 2000 verfielfacht -
eine bessere Wertanlage als jede Fondeinlage.
Tobias Krüger