AUGENKLICK MAL
14. Dezember 2009 | Von admin | Kategorie: Fotografie
An deutschen Fotografie-Instituten wird gerne über die Befindlichkeit der Studierenden geplaudert: Fotografie sollte persönlich gefärbt sein. Sie sollte sich von der klassischen Dokumentarfotografie abgrenzen. Deshalb wagt im universitären Rahmen auch kaum noch jemand die Bezeichnung »Fotojournalismus« in den Mund zu nehmen als bekäme er auf der Stelle davon Herpes. Schließlich betreiben diesen ekelerregenden »Fotojournalismus« nur die Anderen: Die Schnelleingreiftrupps an Agenturfotografen, die mit geschulterten 25 Kilogramm Gepäck am Spielfeldrand der Fußballstadien ihre Close-ups »schießen«, von Termin zu Termin hetzen und als erste Amtshandlung den Laptop hochfahren, um die Netzverbindung für die Datenübertragung zu checken. Mit dieser Knechtschaft am schnell gemachten Bild will sich ein Fotostudent keinesfalls mehr belasten; auch wenn danach gerufen wird, es gäbe an den Fotografie-Instituten viel zu wenig Vorbereitung auf die Praxis.
Praxis ja, aber bitte nicht im Steinbruch.
Heute sind akademische Fotografen von ihrem Selbstverständnis vor allem Künstler. Das sagte schon der gute Mensch von Düsseldorf, Joseph Beuys: »Jeder Mensch ist ein Künstler«. Ob Beuys auch die Divisionen an Neo-Fotokünstlern in seine Floskel eingebaut hat, ist leider nicht überliefert. Da hilft selbst die kleine Änderung der beuysschen Floskel: »Jeder Künstler ist Mensch« keinen Millimeter weiter.
Nach meinem Verständnis hat deutsche Fotografie der Nullerjahre wenig mit dem Leben zu tun. Das Leben der Anderen? Uninteressant. Zu anstrengend, es zu dokumentieren. Zu lästig. Lässt sich nicht verkaufen. Wer will schon subjektive Abbilder des echten Lebens an der Wand hängen haben?
Vielmehr ist ein Kunst-Fotograf zu einem Photoshopper mutiert. Dieser Cyborg-Hipster sitzt auf seiner fetten Harley von Apple, drunten blubbert das neuste CS4-extended-Paket, existentialistischer Kurzhaarschnitt, eine coole Ray Ban auf der Nase, der Steifknopf im Ohr mit dem iPod verbunden. So cruist der Photoshopper durch die unendlichen Weiten des digitalen Raums und glaubt sich wirklich.
Was passiert, wenn man analoge Einwegkamera-Arbeiten von neun- und zehnjährigen Grundschülern dem gleichen Procedere unterzieht, mit dem Neo-Fotokünstler ihre Daten hin und her schieben? Einmal dadaistisch experimentell so tut, als seien die Kinder coole Photoshopper? Erstaunlich daran ist, wie schnell sich etliche als Kunst vorgetragene Bildauffassungen der wahren Photoshopper als echtes Zeichengestammel, als digitale, auf Hochglanz polierte Langeweile herausstellt.
Mal gucken?
Fotografien©2009 Max-Greve-Grundschule, Bochum
Hinweis:
Die teilnehmenden Kinder haben mit einer Einwegkamera (27 Negative, 400 ASA) ein subjektives Porträt der Stadt Bochum fotografiert. Die veredelten Ergebnisse - auf Aludibond Lumasec - wurden im Forum der Bochumer Volkshochschule ausgestellt. 15 Fotografien sind verkauft - zwei Fotografien geklaut worden. Die erzielten Erlöse kommen der Grundschule zugute.
Die Materialkosten für das Grundschul-Projekt sind vom Kulturausschuss der Stadt Bochum bewilligt worden.
Schade, dass die meisten der Knirpse ihre hier zur Schau gestellte kreative Grundnaivität nicht behalten werden können, während sie durch die stumpfen Bildungsmühlen unseres Landes genudelt und zu Arbeitssklaven montiert werden. Schöne Bilder!