JOACHIM BROHM vs NEO RAUCH
11. Oktober 2009 | Von admin | Kategorie: AllgemeinVor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, einen interessanten Mann aus der Leipziger Fotoszene kennen zu lernen, mit dem ich in einem intensiven Zwei-Zigarettenlängen-Gespräch über zwei mächtige Figuren der mir immer zwielichtiger vorkommenden Fotografenszene plauderte: Nan Goldin und Joachim Brohm. Über die omnipräsente US-Amerikanerin und den endlich mal in die Kritik geratenen HGB-Rektor Brohm. Im Fall Goldin sind wir übereingekommen: Ihr Werk wird komplett überschätzt. Im Fall Brohm einigten wir uns auf das Ergebnis: doppelplus komplett überschätzt.
Natürlich hat die Einschätzung eine Basis. Das entblätterte Leben Goldins ist mir inzwischen so vertraut, dass ich den Eindruck habe, sie sei es, die morgens bei mir klingelt und mir die Werbeprospekte in den Briefkasten wirft. Sie füttert mich mit belanglosen Botschaften aus ihrem Leben, die ich mir ansehe und gleich wieder der Altpapierverwertung zuführe. Ihr geht es nicht mehr um die inhaltlichen Ergebnisse, um eine spezielle Kunstformel, um Leistungen und Taten für die Fotografie. Ihr geht es vor allem um die Erzeugung von medialer Aufmerksamkeit.
Völlig entgegengesetzt operierte bisher Joachim Brohm. Schlau hat er es sich in strategischer Voraussicht in Leipzig bequem gemacht. Diese Strategie gehörte zu seinem Masterplan, denn von Beginn an hatte es Brohm auf eine Uni-Karriere angelegt. Ob es seine VHS-Kurse waren, das pädagogische Warm-up in Herne und Trier, seine Arbeit in der Fotografischen Sammlung in Essen, das Aufbaustudium bei Allan Sedulka: Brohm hat in seiner Lebensplanung nichts dem Zufall überlassen, auch wenn von außen betrachtet mache Zwischenstationen belanglos schienen. Er legte einen hinter antrainierter Starrfassade verborgenen Ehrgeiz an den Tag, der wenig mit dem zu tun hat, womit diese Tugend gemeinhin verwechselt wird. Brohm ist konzeptionell ein pingeliger Beamter, der die Inhalte seines Bücherregals mit der Laserwasserwaage ausrichtet. Dass der verkappte Oberstudienrat aus Dülken sich jetzt zur grauen Eminenz, zu Kardinal Richelieu der Fotografie erhebt, zeigt einmal mehr, wie aus einem scheinbar freundlich dreinblickenden Oberstudienrat ein entschlossen handelnder Machtmensch werden kann, mit dem gar nicht so gut Kirschenessen ist.
Bestimmt missfällt es ihm jetzt, enttarnt zu sein, mit einem Mal im Fokus der Presse zu stehen, sich mit Anfeindungen gegen ihn auseinanderzusetzen, wo er doch seine Berufung darin sieht, im Rückraum des Privaten seine Strippen zu ziehen.
Im konkreten Fall geht es um Neo Rauch. Der Lieblingsmaler von Guido Westerwelle aus der »Neuen Leipziger Schule« kündigte nach drei Jahren seine Professorentätigkeit an Rektor Brohms Leipziger HGB. Rauch habe keine Möglichkeit mehr gesehen, die Studenten korrekt zu unterrichten und noch Zeit zum Malen zu finden. Als mögliche Nachfolger hatte Neo Rauch einige Kollegen vorgeschlagen, die für den unverwechselbaren Stil der Leipziger Malschule stehen und wegen dem sich Studierende für Leipzig entscheiden.
Die Berliner Zeitung schreibt über den West-Ost-Machtkampf: »Rektor Joachim Brohm aber holte den Kölner Maler Heribert C. Ottersbach, der mit dem Leipziger Stil nichts am Hut hat. Brüsk wies man Rauchs Einwände zurück. Er habe nicht vorzuschreiben, wer künftig wie unterrichte. Jetzt stellen sich Studenten und fast die Hälfte der Professoren auf Rauchs Seite. Abermals sei eine Professur - auffällig schon die dritte - mit einem Rheinländer besetzt, der mehr Brohm privat als Leipzig nahe stehe. Ein offener Brief - mit 200 Unterschriften von Studenten, Lehrern aus Ost und West und Absolventen der Akademie - ist im Internet zu lesen. Wenn das so weitergeht, muss Brohm sich womöglich neue Studenten wählen.«
Interessant ist, dass zu den Unterzeichnern der Neo Rauch-Position auch Timm Rautert gehört, der langjährige Lebensgefährte von Ute Eskildsen, der Chefin der Fotografischen Sammlung im Essener Museum Folkwang. Schließlich war Rautert Fotografie-Professor in Leipzig und Eskildsen die maßgebliche Förderin des jesuitisch operierenden Joachim Brohm. Da brennt wohl mehr als die Presse-Empörung zum Ausdruck bringt, denn Brohm hat sich aus der Reserve locken lassen und sich Feinde geschaffen, die seiner Ansehen abträglich sein können. Die netten Plaudereien in privater Runde mit Timm Rautert und Ute Eskildsen dürften wohl der Vergangenheit angehören.
Offener Protestbrief von Leipziger Studierenden (PDF)
http://www1.mdr.de/mdr-figaro/journal/6594835-hintergrund-6618033.html