SCHAUN MER MAL
10. September 2009 | Von admin | Kategorie: FotografieKlar, das Model auf der Titelseite des aktuellen »Zeit Magazin« muss den rotlackierten Mund ganz weit aufreißen, damit der geneigte Leser zumindest einen Einblick in ein fehlerfrei getuntes Gebiss bekommt, wenn es schon sonst nichts an sehenswerten Einblicken zu vermitteln gibt. »Der Glanz von München« titelt die »Zeit« ihre Magazin-Sonderausgabe vom 10. September 2009, womit sich die Hanseaten publizistisch in den Süden der Republik herablassen, um dem zeitkritischen Leser vorzuführen, wie armselig rückwärtsgewandt die Münchner Kriegerdenkmäler tatsächlich aussehen. Da kann selbst das 1,80-Model auf waffenscheinpflichtigen Killerheels nicht mehr viel herausreißen. Die Aufmachergeschichte ist einfach öde, kalt, auf edel-schmutzig fotografiert, ein billiges Imitat des Androgyn-Trash, den Jürgen Teller oder Corinne Day besser drauf haben. Dass es weniger staubtrocken geht, dazu reicht es, sich in »Smile ID« einen Überblick zu verschaffen, aus dem sich schon das Fernsehformat der »Zeit« für seine Lead-Kampagne bedient hat.
Neben den Quellennachweisen, welche Schuhe und Klamotten von Gucci, Parda, Yves Saint Laurent das Model trägt, welcher Location Scout die tollen Orte für die originelle Modestrecke ausgesucht hat, wo das Model in Anmacherpose die Bratwurst wie ein Stilett hält: (Ey, Alter, mal beißen?) gefällt mir persönlich die Namensnennung des Fahrers: Hans Wallowsky; das steht da wirklich. »Fahrer: Hans Wallowsky«. Etwas versteckt, aber es steht da. Hans Wallowsky ist in der Modestrecke »Der Glanz von München« der Taxifahrer, der synonym immer dann erwähnt wird, wenn Journalisten partout nichts mehr einfällt. Wer nach dem Shooting die Bartwurst gegessen hat, würde mich auch interessieren. Aber gegenüber den anderen genannten Persönlichkeiten, die an der Modestrecke tatkräftig mitgewirkt haben, ist ein Bartwurstesser keiner Erwähnung wert.
Richtig überzeugend wollte den Magazin-Verantwortlichen der Rummel um Münchens Glanz nicht gelingen. Es musste noch ein Knaller her. Aber wer sollte es im Magazin knallen lassen?
Ich stelle mir das so vor: In der Themenkonferenz hat jemand die geniale Anmerkung, dass auch ein konzeptuell verschraubtes 80er-Revival in München ohne den Abdruck von Grace Jones-Fotos schlecht verkauft werden kann. (Es muss nicht verkauft werden, weil es der Wochenzeitung beiliegt. Man spricht aber gerne davon, um den harten Wettbewerb, in dem man als Magazinmacher steckt, richtig zu verdeutlichen.) Wie kriegt man jetzt die Kurve, Grace Jones in ein Münchner-Mode-Sonderheft einzubauen? Um mit den Worten des Herrn Bundesfinanzministers zu sprechen: Wo ist die verdammte Leitplanke?
Die Leitplanke baut ein 69-Jähriger. Der trägt implantiertes Haar, hat zu kurze Beine. So steht es im Interview. Jean-Paul Goude, Fotograf, Werbefilmer, 1989 Konzeptioner der pompösen 200-Jahrfeier der französischen Revolution erfand den Look von Grace Jones. (DAS Plakat von ihr hängt bei mir Keller.) Es ist vielleicht DAS Plakat der Achtziger: Grace Jones von Goude in blauschwarzem Farbklima fotografiert, Zigarette im Mund, Schulterpolster, Ledernacken-Brikett-Schnitt. Großspurig gibt Goude zu Protokoll, Grace Jones sei sein Geschöpf.
Um es nicht spannender zu machen als es ist: Damit das gesamte Magazin nicht aus der Kurve getragen wird, bringt der Interviewer von Jean-Paul Goude die Leitplanke ins Spiel.
Frage: »Voriges Jahr habe Sie für einen Likörhersteller einen Spot mit Charles Schumann gedreht. Er führt das Schumann’s, die legendäre Münchner Bar. Waren sie jemals dort?«
Goude: »Leider nein. Wir drehten in Los Angeles. … Ein Mädchen läuft mit einem Drink an die Bar oder so … Und der Barmann ist dieser Schumann. Nicht gerade mein kreativster Film.«
Mehr konnte Goude nicht zu München sagen. Egal, es reicht. Ein Themenbezug war hergestellt. Und die Magazinmacher hatten einen Grund, Grace Jones als Ikone der Achtziger zu verkaufen.
Die Leitplanke hängt jetzt in meinem Zimmer. Direkt gegenüber von meinem Hauptstandort, dem Bett. Sie bildet - gewollt - das visuelle Zentrum des Raumes. Diese Waffe von Frau ( die Zigarette unfassbar lässig im Mundwinkel ) erinnert mich aufgrund ihrer wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge und insbesondere durch ihre stechenden Augen stets an einen Panther.