EUROSPORT - SIGI HEINRICH
23. August 2009 | Von admin | Kategorie: AllgemeinWie viel Gefühlsausbruch dürfen sich TV-Sportreporter leisten? Dürfen sie selbst ergriffen sein, wenn der Jamaikaner Usain Bolt die Weltrekorde im 100 und 200 Meter Sprint »pulverisiert«, »nicht mehr gegen Menschen läuft, sondern nur noch gegen die Zeit«? Klar ist, ohne die Auftritte des »Wundersprinters« aus der Karibik wäre die Leichtathletik-WM eine gähnend langweilige Veranstaltung. Der Muhammad Ali der Leichtathletik degradiert die muskelbepackte Konkurrenz zu Laiendarstellern. Lässig elegant rauscht der 23-Jährige über den blauen Kunststoffbelag des Olympiastadions von 1936 als wäre die Schwerkraft eigens für ihn entkräftet worden.
Gerne würde ARD und ZDF das »Sommermärchen« der Fußball-WM 2006 neu erzählen, doch leider sind die deutschen Leichtathleten, besser die Schwergewichtigen unter den Leichtfüßigen die Edelmetallempfänger bei der Leichtathletik-WM in Berlin. Und so sehr sich die schmallippig leiselnden ZDF-Poschmänner und deren ARD-Kollegen auch ins Zeug legen, gegen die fröhlich plaudernde Konkurrenz vom Privatsender »Eurosport« hören sich die öffentlich rechtlichen Beamten so spritzig an wie kurz vor der Pensionierung stehende Oberstudienräte. Ihr mahnend bevormundender Unterton, im Stadionoval ginge einiges nicht mit rechten Dingen zu, ist auf Dauer lästig.
In den diskursfähigen Medien wie ARD, ZDF, den überregionalen Zeitungen und Magazinen haben die (Start)-Blockwarte das Sagen. Sie sehen sich offenbar einem höheren Auftrag verpflicht, als Antikörper durch die Blutbahnen der Sportler zu kriechen, um dort mit dem Elektronenrastermikroskop nach leistungssteigerndem Dope zu fahnden. Würden sie ihren Leitsatz für Ausgewogenheit: »Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein – auch nicht mit einer guten« tatsächlich ernst nehmen, wären die Beiträge über die Leichtathletik-WM weniger einschläfernd. Gleich einer Rasterfahndung, den Sportlern generell die Unschuldsvermutung abzusprechen, ihnen bis in die hintersten Winkel nachzustellen, sie bigott nach dem Prinzip Guter Polizist – Böser Polizist auszufragen; wer zu lange den Kopf in den Sand steckt, der knirscht irgendwann mit den Zähnen.
Fixstern unter den Leichtathletik-Reporter ist der bayrische »Eurosport«-Sponti Sigi Heinrich. Wenn er sich am Mikrophon in Begeisterung steigert, wenn Usain Bolt leichtfüßig über die Laufbahn schwebt, läuft Sigi zur verbalen Höchstform auf. Wie einst Rudi Michel zieht Sigi Heinrich Vergleiche heran, die im bürgerlichen Lager der Sportreporter ein Tabu sind. »Wer ist dieser Usain Bolt? Ein Albert Einstein, ein Mozart der Leichtathletik« sprudelt es schnodderig aus ihm heraus. In der Süddeutschen Zeitung wird Sigi Heinrich dafür genüsslich abgewatscht. Welches Vergehens hat er sich schuldig gemacht? Ist er zu emotional, zu wenig distanziert? Um dem gebildeten Publikum ein gutes Gefühl zu geben, wird an den Deutschen Fernsehpreis erinnert, den Sigi Heinrich und sein reportierender Tandempartner Dirk Thiele erhalten haben. Bei der zum Skandal aufgeblasenen Veranstaltung lehnte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki den Preis dankenswerterweise ab. Das im Fernsehen vermittelte Niveau sei ihm zu flach. Ob Reich-Ranicki jemals »Eurosport« gesehen geschweige denn Sigi Heinrichs Sponti-Logiken gehört hat; Zweifel sind angebracht.
Nieder mit der Schwerkraft, es lebe der Leichtsinn.
http://de.eurosport.yahoo.com/blogs/sigi-heinrich/
Das Wesen des Sports kennt keine Verlierer(innen). Jede(r), der/die seine/ihre ihm/ihr beste Leistung erbracht hat, ist ein(e) Gewinner(in). Die Unterschiede ergeben sich lediglich aus der Leistungs- und Leidensfähigkeit. Seit vielen Jahren der einzige Sender, der dieses Gedankengut in seiner Berichterstattung reflektiert, ist Eurosport nicht nur bei der Leichtathletik vorne. Dirk Thiele und Sigi Heinrich waren in dieser Disziplin die einzigen, die einem Usain Bolt das Wasser reichen konnten. Es ist einfach ein Unterschied, ob man die erzielte Weite, die gesprungene Höhe oder die gelaufene Zeit nochmal von der Ergebnistafel abliest und zu Gehör bringt, oder ob man es versteht, das Ereignis dem ihm zustehenden Stellenwert zuzuordnen und dem geneigten Zuschauer zu vermitteln. Zusammen mit Berlino haben die vier ein sportlich perfektes Mahl zubereitet, von dem mir zum erstenmal nicht nur der Sieger, sondern auch der Kommentar zu einem 100m Endlauf der Herren im Gedächtnis bleiben wird.
Passend zu dem parallel in diesem Blog stattfindenden Themenkomplex “SPIEGEL vs JAN ULLRICH” darf nicht unerwähnt bleiben, daß sich auch hier Eurosport mit seinen Moderatoren Karsten Migels und Ulli Jansch von den öffentlich rechtlich in Bataillonsstärke antretenden Dopingfahndern wohltuend abhebt. Insofern war der halbseidene Aus- und Wiedereinstieg von ARD und ZDF fast schon mehr Niederlage, als die “Aufgabe” von Rasmussen. Von der damit einhergehenden Unmündigkeitserklärung der in der GEZ organisierten Zuschauer mal abgesehen, war dieses Steckerziehen dank der genannten Herren leicht zu verschmerzen, so es denn bemerkt wurde. Die konsequent weiter geführte Begleitung der teilweise zur Medikamenten Tour ausartenden Rundfahrten durch Italien und Frankreich wurde auch in dieser Hinsicht entsprechend gewürdigt. Das hatte allemal mehr Stil und Konsequenz, als die dann zu späterer Stunde präsentierte Zusammenfassung der jeweiligen Tagesereignisse bei den “Aussteigern”.