MAGNUM - FREIMAURERLOGE ODER LIONS CLUB?
21. Juni 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieMAGNUM (1947 gegründet)
SUSAN MEISELAS, Nicaragua, 1981/ 2008
Die Fotografen-Kooperative MAGNUM ist ein Mythos, deren Ruhmesblatt seit vielen Jahren welkt, auch wenn die Grandseigneurs des Fotojournalismus von ihrem Credo: die Welt zu zeigen, wie sie ist, und nicht so zu zeigen, wie andere sie gerne hätten, um keinen Millimeter abweichen wollten. Erst die auftretenden wirtschaftlichen Zwänge der Agentur, die einhergegangen sind mit der Bedeutungszunahme von Fernsehdokumentationen und dem gleichzeitigen Ende des Fotoessays in den großen Publikumsblättern Ende der Achtziger, führten bei MAGNUM zu einem Umdenken; gegen den Widerstand der konservativen „Wahrheitswächter“.
Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde Martin Parr im Jahr 1988 in die „Freimaurerloge“ der MAGNUM-Fotografen aufgenommen. Im Nachhinein war dies vielleicht eine der wichtigsten Entscheidungen in der 61-Jährigen Geschichte der fotografischen Bruderschaft mit Gründungssitz in Paris und Niederlassungen in London, New York und Tokio.
SUSAN MEISELAS, Carneval Strippers, 1976/2003
Warum Thomas Höpker (*1936), früherer stern-Fotograf und Ex-Artdirektor des Magazins im Jahre 1989 im fortgeschrittenen Alter von 53 Jahren als erster und bisher einziger Deutscher in den elitären Zirkel der MAGNUM-Fotografen aufgenommen wurde, ist dagegen weniger einsehbar.
Worin die Gründe für diesen Umstand zu suchen sind, ob es allein das Desinteresse deutscher Fotografen an MAGNUM ist, sich einer internationalen Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit anzuschließen, der latente deutsche Schuldkomplex, die Autoritätsgläubigkeit vor den weltweit angehimmelten „Göttern“ der Fotografie, all das bietet reichlich Stoff für Spekulationen. Vielleicht ist deshalb auch sowenig über die auffällige Abwesenheit deutscher Fotografen bei MAGNUM bekannt. Wer es schließlich doch versucht hat, dort aufgenommen zu werden und dem eine Abfuhr erteilt wurde, macht damit jedenfalls keine Reklame.
In bester freimaurerischer Manier gleicht das Aufnahmeritual in die „MAGNUM-Loge“ eher einem Charaktertest, ob der Kandidat das Glaubensbekenntnis der vier MAGNUM-Gründer Robert Capa (1913-1954), Henri Cartier-Bresson (1908-2004), George Rodger (1908-1995) und David Seymour (1911-1956) verstanden hat und dazu bereit ist, es ein Leben lang zu verinnerlichen.
Im Freimaurerjargon ist dieser Kandidat ein „Suchender“, der sich als „rauer Stein“ unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit einem Charakterschliff unterziehen will, um sich in die „Kathedrale der Menschheit“, dem symbolischen Wiederaufbau des salomonischen Tempels einzubringen. In den Freimaurerlogen orientiert sich der rituelle Akt an den Handwerksgraden: Lehrling, Geselle, Meister. Der Chef der Loge ist der so genannte Meister vom Stuhl. Auf MAGNUM übertragen hatte diese Funktion bis zuletzt und unangefochten der autoritäre MAGNUM-Gründer Henri Cartier-Bresson.
Zur Verdeutlichung ein irdischer Vergleich: Gilt das gefürchtete Mappenlotto an der Düsseldorfer Kunstakademie als das für angehende Kunststudenten undurchsichtigste Aufnahmeprozedere, so ist das jährlich stattfindende Sichtungsverfahren bei MAGNUM die vielfache Potenzierung der Düsseldorfer Kriterien. Daran scheitern selbst erfolgreich publizierende Fotografen, denn MAGNUM ist nicht die weltweit elitärste Fotografenakademie, sondern ein eingeschworener Männerbund mit wenigen Alibifrauen.
Das Aufnahmeverfahren verläuft so: Für den „rauen Stein“ beginnt nach gestrenger Mappensichtung durch die MAGNUM-Mitglieder der Idealfall mit einer Nominierung. Dem Kandidaten wird der „Lehrlingsgrad“ zugesprochen. Nach zweijähriger Lehre kann der Kandidat die nächste Stufe zur Erreichung der höheren Weihen zu einem assoziierten Mitglied („Gesellengrad“) bei MAGNUM werden, bis er nach weiterer Arbeit an sich selbst den „Meistergrad“, die Vollmitgliedschaft erwirbt. Dieser Prozess dauert vier, fünf und manchmal mehr Jahre.
Bezeichnend für die MAGNUM-Fotografen ist deren beruflicher und biographischer Hintergrund. Die meisten haben ein „richtiges“ Studium absolviert und ein weiteres Fotografiestudium oben darauf gepackt, um ihr politisches Engagement in intellektuell fundierten, allerdings auch häufig welterklärerischen Bildern widerzuspiegeln. Der tschechische Raumfahrt-Ingenieur Josef Koudelka etwa begleitete über Jahre hinweg die randständigen Roma in Osteuropa. Ex-MAGNUM-Fotograf Sebastiao Salgado aus Brasilien, promovierter Wirtschaftswissenschaftler, dokumentiert weltweit seit mehr als einer Dekade die drastischen Folgen der Globalisierung für Arbeiter und Migranten, Harvard-Absolvent in den Fächern Geschichte und Literatur, Alex Webb, fotografiert die Armutsgrenze zwischen Mexiko und den USA, Harvard-Dozentin Susan Meiselas die aufständischen Rebellen in Nicaragua.
JOSEF KOUDELKA, Gypsies, 1984
Die Reihe an Langzeitprojekten auf intellektuell hohem Niveau wäre fast beliebig fortzusetzen, denn nirgendwo sonst kann ein Fotograf über viele Jahre hinweg konzentriert an ein und demselben Thema arbeiten, ohne dabei in die Nähe finanzieller Abgründe zu geraten. Die Kooperative garantiert schließlich jedem Mitglied ökonomische Sicherheit.
MARTIN PARR, Home and Abroad, 1993
Von den derzeit 79 aktiven und posthum weiter aufgeführten MAGNUM-Fotografen, ohne die Abtrünnigen wie James Nachtwey, Eugene Richards oder Luc Delahaye zu berücksichtigen, hat sich die MAGNUM-Ikonographie in das Bildgedächtnis eingebrannt. Ihre Bücher stehen in den Bibliotheken dieser Welt, in Museen, Galerien, bei Privatsammlern und Fotografen. Ganz gleich, welchen Superlativ man auch in anderen Kontexten verwendet, gegenüber MAGNUM ist alles andere heiße Luft. Diese Agentur zu kritisieren grenzt an Gotteslästerung. MAGNUM ist unfehlbar - und gerade deshalb auch gefährdet.
Nach der Zeitenwende 1989 begann sich das politische Klima radikal zu ändern. Der Utilitarismus, Kernthese der Neoliberalen und eine der größten Seuchen der Menschheit, die jeder kreativen Äußerung nach Belieben den Hahn abdrehen kann, drang bis in die letzte Pore des Zusammenlebens. Niemand kann sich mehr seiner Sache sicher sein. Die einst gültige Formel: Qualität auf hohem Niveau gleich Erfolg gleich Geld ist ersetzt worden durch das Argument: Erfolg ist Garantie für nichts. Kostet Erfolg mehr Geld als er Profit einbringt, ist der Qualitätsanspruch flacher und konsumfreundlicher zu definieren.
http://de.youtube.com/watch?v=930ku2axx7c
Dieser Entwicklung musste sich auch die Agentur MAGNUM stellen. Das starre, über Jahrzehnte funktionierende System benötigte eine dem neuen Geist angemessene Frischzellenzufuhr. Es reichte nicht mehr aus den Mythos MAGNUM auszuschlachten, um den Erfolg weiterhin zu konstituieren. Geschmeidige Kosten-Nutzen-Denker in den Verlagen wollen ihre Leserschaft auch unterhalten, statt sie mit einem schlechte Gewissen bereitenden und den Konsum hemmenden Sozialreportagen vom Kiosk zu vertreiben.
Von daher ist die als kalter Blick bezeichnete und als zynisch verschriene fotografische Position von Martin Parr ein ökonomischer Segen für MAGNUM. Er intendiert in seiner Arbeit keinen spirituellen Wahrheitsanspruch, sondern er versteht sich als fotografierender Populist. MAGNUM, die älteste, berühmteste und beste Foto-Agentur der Welt, deren Mitgliedschaft die höchste und meist unerreichbare Auszeichnung für Fotografen darstellt, war in der Realität des neoliberalen Denkens angekommen. Martin Parr steuerte mit zunehmender Einflussnahme auf MAGNUM die Fotografen-Loge in die Richtung eines die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder fördernden LIONS-Clubs. Er und seine Mitstreiter haben mit der spirituellen Tradition von MAGNUM gebrochen und sie auf dem Boden der Realität fortgesetzt. Martin Parr: der neue Cartier-Bresson?