JEDERMANN-GIRO IN BOCHUM
1. August 2009 | Von admin | Kategorie: AllgemeinVom Aufstieg und Fall des Jedermann erzählt der 2. August 2009: Morgen früh um 8.30 Uhr mitteleuropäischer Ortszeit fällt auf der Viktoriastraße – in Nähe des legendären »Café Sachs« - der Startschuss zum diesjährigen »Jedermann-Giro«. Über 2000 Jedermänner aus allen Teilen der Republik haben für das Rennen auf der 75 km langen Strecke gemeldet. Wobei der Begriff Jedermann einer Erklärung bedarf, denn sonst kann man leicht dem Irrglauben verfallen, man könnte im Bananensattel eines Bonanza-Rads auf die Rennstrecke gehen. Die Betonung liegt nämlich auf Rennen.
Am Start sind die tollsten Rennräder zu besichtigen. Damen und Herren; der größte Teil im »besten Alter«, gekleidet in fröhlich bunten Kunstfaserhemden und in Hosen, die von der Machart her einer zu groß geratenen Monatsbinde gleichen. Dass manche Jedermänner bei ihren optisch verunglückten Auftritten wie Wurst in Pelle aussehen, soll nicht über deren sportlichen Ehrgeiz hinwegtäuschen. Manche haben es richtig drauf. Wie das Marathonlaufen seit einigen Jahren zur Leistungs-Chiffre von Jungdynamikern und für jene geworden ist, die es noch einmal richtig wissen wollen, gehört auch das energetische Radfahren in die Kategorie: zeitgenössische Pflege eines modernen Lebensstil. Wer von harter körperlicher Arbeit befreit ist, kanalisiert seinen Bewegungsdrang in andere Vektoren.
Illustrationen©SparkassenGiro Bochum
So heterogen die Startaufstellung der Jedermänner ist, so divergent ist das Leistungsvermögen. Da sind einstige Radrennfahrer am Start, aktive Triathleten, Radamateure, die für ein Erfolgserlebnis ihre Lizenz zurückgegeben haben, Quereinsteiger aus anderen Sportarten, die aufgrund von zuviel Körpergewicht ihre Knochen schonen wollen, ein Leichtathletik-Ex-Weltmeister, ein einstiges Ruderer aus dem Maschinenraum im schnellsten deutschen Achter, Radkuriere, die berühmten Radrenn-Opas; was keineswegs diskreditierend gemeint ist. Vielmehr als Ausdruck von Respekt. Da reibt man sich schon die Augen, wenn, wie im vergangenen Jahr, ein 75-jähriger Radrenn-Opa mit einem Stundenmittel von fast 40 km/h über die Strecke heizt. Dieser und andere ältere Herren passen so gar nicht in das zu oft vermittelte Medienbild des gebrechlichen Rentners, dem man die Schnabeltasse reichen muss. Der »Methusalem-Komplex« ist facettenreicher als manch ein Leitartikler glauben machen will. Da ist viel Propaganda im Spiel, denn es gibt immer auch die anderen, die das als Wirklichkeit dargestellte Bild gehörig aus der Fassung bringen.
Am Start morgens um 8.30 Uhr hängt Adrenalin in der Luft. Man kann das Modehormon förmlich riechen. Angespannt kritisch beäugen sich die Jedermänner, versuchen abzuchecken, wer was an Leistungsvermögen drauf hat. Ein prüfender Blick auf die Waden, das Rad, das Trikot. Ist der Konkurrent – und darum geht es – ein »Fakeanger«, jemand der von seiner Erscheinung nur so tut, als sei er ein Messanger (Radkurier)? Solche Typen gibt es auch auf dem Rennrad. Ist er ein Einzelartist, fährt er in der Gruppe? Und – was hat er intus? »Aspirin« zur Blutverdünnung, »Voltaren« zur Schmerzunterdrückung, welche Leistungszünder stecken in der Trinkflasche?
In diesem Jahr hat Veranstalter Clausmeyer das Streckenprofil deutlich entschärft. Die gefährliche Abfahrt bei Tempo 60 ins Lottental bezahlte ein Jedermann bereits in der 1. Runde mit schwerer Verletzung. In der 4. Runde der 2008 noch 58,4 km langen Strecke, raste ein Jedermann in einer Fahrbahnverengung frontal gegen einen Baum. Will sagen, harmlose Freizeitgestaltung ist ein Jedermann-Rennen keineswegs. Da wird abgedrängt, sich behackt; riskant ist das unkonzentrierte Windschattenfahren Vorderrad an Hinterrad. Da sind Stürze kaum auszuschließen.
Für 2009 ist die Strecke entschärft worden. Statt vier Mal die Stiepeler Straße runter scharf rechts ins Lottental und dann wieder hoch in die 12 %-Steigung der Surkenstraße, sind die jetzt 75 km als Rollerstrecke deklariert worden. Trotzdem: An der Surkenstraße, dem L’ Alpe d’Huez von Bochum, trennt sich die Spreu vom Weizen. Dort zieht sich das Fahrerfeld wie ein Gummiband auseinander. Wo die fettarmen Profipedaleure im Hauptrennen am Sonntagnachmittag locker im dicken Gang hochfahren, hat der Grossteil der Jedermänner mächtig zu kämpfen. Sinkt von jetzt auf gleich der Blutzuckerspiegel, werden die Beine zu Blei.
In jedem Fall nix für Raucher.