KEINE AHNUNG
24. Juli 2009 | Von admin | Kategorie: FotografieDa kann man nur staunen, wie das Dünnbein Alberto Contador die diesjährige Tour der Leiden beherrscht, wie er mit seinen Gegnern geradezu nach Belieben spielt, sich im Stile eines Champions zurückfallen lässt, um im nächsten Augenblick zum Angriff überzugehen. Sieht man ihn dann im »Eurosport«-Interview vor der Kamera, übt er sich in gespielter, fast demütiger Bescheidenheit, weil nur er selbst weiß, wie sein Körper funktioniert und sich Bescheidenheit gut verkaufen lässt. Contador erweckt wie die Milchgesichter aus Luxemburg den Eindruck, ihr Parforceritt durch die Alpen wäre das Allernormalste von der Welt. Und genau darin, in der dynamischen Leichtigkeit, die von Laien als Normalität missverstanden wird, ist der Heilige Gral des Leistungssports zu finden.
Dennoch: Das Comeback von Lance Armstrong bei der Tour zeigt die eigentliche Schwäche des Fahrerfeldes. Ein fast 38-jähriger Mann lehrt den verkniffenen Gerdemanns, Martins, die der Stallorder gemäß den US-Altmeister im Gespräch mit deutschen Journalisten lässig zu verachten haben, zeigt dem Nachwuchs, wo der Hammer hängt. Er zeigt ihnen, wie zeitgenössisches Marketing unter Verwendung und Nutzung von Medien funktioniert, dass Charisma mehr ist als ein schick bedrucktes Kunstfasertrikot. Im Hemd muss auch was drinstecken.
Die Schwäche des Fahrerfeldes verdeutlicht sich vor allem, wenn man sich an Armstrongs Glanzzeit erinnert, dass nur ein einziger Fahrer ihm tatsächlich hätte gefährlich werden können, der ihm an Talent und fahrerischer Eleganz haushoch überlegen war, ihm wegen seines Phlegmas aber weit unterlegen war und letztlich an sich selbst scheiterte.
Dies ist die Tragik des Supertalents, das nun seit 2006 systematisch und verächtlich von der Medienmühle zerlegt wird und sich selbst in einem peinlichen, realsatirischen Werbespot für Radhemden entblödet. Man fragt sich, wenn man die Peinlichkeit im Fernsehen sieht, wie das gemütlich gewordene Supertalent radebricht: Warum macht er das? Kann Jan Ullrich denn gar nicht einschätzen, welche Funktion er hat? Muss der Werbespot tatsächlich sein – und wem nutzt er?
Dass seine Leistungen im Radsport erst durch den jetzigen Armstrong-Auftritt bei der Tour richtig eingeschätzt werden können – sieht, spürt er das denn nicht selbst? Es müsste für Jan Ullrich doch eine Genugtuung sein, wie die öffentlich rechtlichen Kommentatoren sich krampfhaft bemühen, seinen Namen nicht zu nennen. Die Krux ist, dass die gleichen Fernsehsender die Bilder geliefert haben, die kein Radsportfan vergessen wird. Da kann von Kommentatoren noch so viel geleugnet, verleumdet, relativiert, verschwiegen werden. Die Kommentatoren wissen genau: Jan Ullrich ist im Fahrerfeld der Tour präsent, selbst wenn er Zuhause vor dem Fernseher im neuen Radtrikot sitzt.