WHISKEY WILLI
20. Juni 2008 | Von admin | Kategorie: FotografieWILLIAM EGGLESTON’S GUIDE, MoMA, 1976/2000
Außer, dass William Eggleston im Göttersaal der Fotografen eine Sonderstellung einnimmt, hat der in Memphis/Tennessee lebende Gentleman mit der Leica auch höchst menschliche Züge, die überhaupt nicht in das Bild des seriösen Künstlers passen. Aus sicherer Quelle ist bekannt: Eggleston ist ein Säufer. Während eines vom Suff gesteuerten Zwischenfalls soll er mit dem Schrotgewehr auf seine Frau Rosa geschossen haben und die wiederum, weil sie ihren William gut kennt, hängte über die Einschusslöcher in der Wohnzimmerwand kurzerhand seine Fotos. Überliefert ist auch eine motorische Ausfallerscheinung nach einer Signierstunde im Kölner Museum Ludwig. Volltrunken sei Eggleston beim Treppenabstieg ins Straucheln geraten und musste unangenehmen Kontakt mit dem Marmorboden aufnehmen.
Künstlerisch ist William Eggleston, Jahrgang 1939, der Pionier der „New Color Photography“. Als erster Farbfotograf der Geschichte hatte Eggleston im Jahr 1976 eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), dem Vatikan zeitgenössischer Kunst, wo er 375 Farbfotografien aus der Zeit von 1969 bis 1971 aus seinem persönlichen Umfeld zeigte.
Wer dort als Einzelkünstler ausstellt, hat die Heiligsprechung erfahren, denn von diesem Moment an wird die Erdanziehungskraft außer Kraft gesetzt und es geht steil bergauf. Bemerkenswert ist noch ein weiterer Umstand, der WILLIAM EGGLESTON’ GUIDE aus jetziger Sicht zu einer Besonderheit macht: Es ist der erste Farbkatalog, den das bis dahin auf dokumentarische Schwarzweißarbeiten fixierte MoMA veröffentlichte.
Gerne werden Vergleiche der Eggleston-Fotografie mit Edward Hopper herangezogen, dem verkitschten US-Maler der Einsamkeit und Vereinzelung. Dies liegt an Egglestons unvergleichbarer Foto-Ästhetik, die er unter Verwendung des Dye Transfer generiert. Dabei handelt es sich um ein spezielles Pigmentverfahren der Bildherstellung, bei dem das Foto eine nach herkömmlichen Druckverfahren nicht zu erzielende Farbtiefe und Brillanz in den Zwischentönen erhält, ohne dass die auf diese Weise ausdifferenzierten Farben in den aufdringlichen Kitsch abgleiten. Dieses in Deutschland von ein, zwei Fachlaboren angebotene Verfahren, ist jedenfalls nichts für notorisch klamme Studierende.
Thematisch ist Eggleston im Mississippi Delta verwurzelt und sehr nahe am literarischen Stoff des Südstaaten-Chronisten William Faulkner. Abgesehen davon gehört ein Eggleston in das Bücherregal eines jeden ambitionierten Fotodesigners, um zu verstehen, wo die Urquelle der zeitgenössischen Farbfotografie liegt: im Mississippi Delta.
Noch eine persönlich gefärbte Anekdote, die den Einfluss von Eggleston bis in meinen Alltag hinein verdeutlicht. Dieses Dreiradfoto auf dem GUIDE-Titel hat mich gedanklich nie losgelassen. Und so entdeckte ich vor ein paar Jahren im Gewusel des Bochumer Flohmarkts ein ähnlich gestaltetes Kindergefährt aus den Siebzigern, das ich ohne zu zögern für meinen Sohn kaufte. So wurde am Ende doch noch alles gut.